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Freitag, 17. August 2012

„Gezeichnet“ von Osamu Dazai

„Gezeichnet“ (im Original „Ningen shikakku“ = „als Mensch disqualifiziert“) gilt als einer der meistgelesenen Romane in Japan. Der Autor Osamu Dazai hat das Erscheinen nicht mehr erlebt – er beging kurz zuvor Selbstmord. Wer „Erinnerungen“ (zu finden in „Einspruch der Dekadenz“ oder „Das Gemeine und andere Erzählungen“) gelesen hat, der wird in „Gezeichnet“ einige Parallelen finden, geht es in dem Ich-Roman doch um dasselbe Thema: Der Lebens-, Leidens- und Liebesweg des Osamu Dazai.

Ein namenloser Ich-Erzähler gerät durch einen Zufall an die Aufzeichnungen des Comic-Zeichners Yozo Oba. Drei Hefte erzählen über drei Lebensabschnitte: Das erste Heft wird der Kindheit Yozos gewidmet. Zutiefst verunsichert und dies hinter der Maske des Clowns verbergend wächst Yozo heran. Die Clownerie macht ihn beliebt, doch wahre Freundschaft findet er nicht – oder nur beinahe, womit wir schon beim zweiten Heft wären: Ein noch schwächerer Mitschüler entlarvt Yozos Tarnung und orakelt richtig, dass Yozo einst ein ziemlicher Weiberheld werden wird. Als Yozo auf eine Oberschule nach Tokio wechselt, beginnt sein dekadentes Leben in der Großstadt: Alkohol, Prostitution, Verschuldung und damals illegale Betätigung für die politische Linke. Marx ist Yozo im Grunde egal, die Illegalität macht die Linke für ihn attraktiv. Und die Frauen vergucken sich in Yozo. Mit einer seiner Verehrerinnen will er Selbstmord begehen – doch nur sie stirbt und er wird angeklagt, von der Familie verstoßen. Das dritte Heft zeichnet das Bild des endgültigen Abstieg Yozos:

„Unglück. In der Welt gab es viele unglückliche Leute, nein, es gab nur unglückliche Leute, das ist sicher nicht zuviel gesagt; doch alle diese Leute konnten sich in die Brust werfen und ihr Unglück der ‚Gesellschaft’ klagen, und die ‚Gesellschaft’ verstand und fühlte mit. Mein Unglück aber war allein meine Schuld, ich konnte mich bei niemandem beklagen“. (S. 121)

Die Parallelen zu Osamu Dazais Leben sind vielfältig, was unter anderem den Reiz von „Gezeichnet“ ausmacht. Doch dies allein würde wohl nicht ausreichen, um dem Roman den Erfolg im bestehenden Ausmaß zu bescheren. Beschreibt Osamu Dazai nicht Phänomene, die jedem bekannt sind: Würde man nicht allzu oft und allzu gerne seine Unsicherheit hinter einer Maske verstecken wollen? Ist nicht jeder vom Wusch nach Anerkennung erfüllt?

„Gezeichnet“ bietet nicht nur Einblick in die Gedankenwelt Osamu Dazais, sondern auch genügend Gesellschaftskritik. Nur leider sehr schade, dass das Buch restlos vergriffen ist und selbst gebraucht nur zu horrenden Preisen zu haben ist. Da lohnt sich dann doch eher der Mitgliedsausweis für eine gut sortierte Bibliothek. Oder vielleicht wagt der Insel Verlag eine Neuauflage? Der Roman würde es durchaus mehr als verdienen!

Update Dezember 2014:
Ab März 2015 ist eine Neuauflage des Cass Verlags erhältlich. Danke Cass Verlag!

Bibliographische Angaben:
Dazai, Osamu: „Gezeichnet“, Insel, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-458-16871-0

2 Kommentare:

  1. Ich habe mehrmals den Insel-Verlag auf eine Neuauflage angesprochen. Dieser ist jedoch der Auffassung eine Neuauflage rentiere sich nicht. Es ist wirklich schade...gute Kritik!

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  2. Vielen Dank für den schönen Artikel. Glücklicherweise hat der CASS Verlag eine Lizenzausgabe im März diesen Jahres auf den Markt gebracht.

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