Als Rie den introvertierten Daisuke heiratet, ahnt sie noch nicht, dass ihr
Ehemann nicht der ist, für den er sich ausgibt. Denn als Daisuke bei einem Arbeitsunfall
stirbt, erkennt dessen Bruder ihn auf den Fotos nicht wieder. Der angebliche Daisuke hatte den
Kontakt mit seiner Familie schon lange abgebrochen gehabt, weswegen der
Schwindel nicht schon vorher aufgefallen war. Rie beauftragt nun den Anwalt
Kido, den Identitätsbetrug aufzuklären.
Kido fasziniert das Thema auch privat. Denn er ist ein Zainichi, ein
japanischer Bürger koreanischer Abstammung und damit ständig mit der
Identitätsfrage konfrontiert. Eines Tages gibt er sich aus einer Laune heraus
gar selbst als Daisuke aus; serviert einem Barkeeper Daisukes Lebensgeschichte als die eigene. Er erlebt das Täuschungsmanöver
als Thrill.
Wenig spannend ist jedoch gerade Kidos Privatleben: Seit der Geburt des Sohnes
haben sich Kido und seine Ehefrau auseinandergelebt. Das gemeinsame Kind
scheint die Ehepartner noch zusammenzuhalten.
Als Kidos Ermittlungen ins Stocken geraten, spielt ihm der Zufall in die Hände
und er kommt organisiertem Identitätsbetrug auf die Schliche.
Keiichiro Hiranos "Das Leben eines Anderen" ist zwischendurch nur
mäßig spannend, was die Aufklärung des Falls betrifft. Der Roman pendelt
zwischen Ries und Kidos Perspektiven hin und her und beleuchtet die jeweiligen
familiären Probleme. Auch Kidos koreanischer Abstammung und seinen Ängsten vor
Nationalismus wird viel Raum eingeräumt. Kido wird als Intellektueller
beschrieben und daher werden auch Rechtspositionen (der Autor ist studierter
Jurist) erläutert, wird aus Anna Karenina zitiert und werden Gedanken zu Ovids
"Metamorphosen" eingeflochten.
Kido wird von seiner Ehefrau vorgeworfen, er sei zu ernst. Genauso ernsthaft
ist auch Keiichiro Hiranos Erzählton. Wer locker-flockige Unterhaltung sucht, ist mit
"Das Leben eines Anderen" sicherlich nicht gut bedient. Ich
empfand diesen ruhigeren Erzählton aber angenehm und manche Gedankengänge durchdacht-inspirierend. Insbesondere zu dem schrillen Roman "Bullet Train", den ich direkt davor gelesen habe, war der Kontrast glatt schon wohltuend.
Bibliographische Angaben:
Hirano, Keiichiro: "Das Leben eines Anderen" (Übersetzung aus dem
Japanischen: Bierich, Nora), Suhrkamp, Berlin 2022, ISBN 978-3-518-43055-2
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