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Freitag, 29. April 2022

"Das Leben eines Anderen" von Keiichiro Hirano

Als Rie den introvertierten Daisuke heiratet, ahnt sie noch nicht, dass ihr Ehemann nicht der ist, für den er sich ausgibt. Denn als Daisuke bei einem Arbeitsunfall stirbt, erkennt dessen Bruder ihn auf den Fotos nicht wieder. Der angebliche Daisuke hatte den Kontakt mit seiner Familie schon lange abgebrochen gehabt, weswegen der Schwindel nicht schon vorher aufgefallen war. Rie beauftragt nun den Anwalt Kido, den Identitätsbetrug aufzuklären.

Kido fasziniert das Thema auch privat. Denn er ist ein Zainichi, ein japanischer Bürger koreanischer Abstammung und damit ständig mit der Identitätsfrage konfrontiert. Eines Tages gibt er sich aus einer Laune heraus gar selbst als Daisuke aus; serviert einem Barkeeper Daisukes Lebensgeschichte als die eigene. Er erlebt das Täuschungsmanöver als Thrill.

Wenig spannend ist jedoch gerade Kidos Privatleben: Seit der Geburt des Sohnes haben sich Kido und seine Ehefrau auseinandergelebt. Das gemeinsame Kind scheint die Ehepartner noch zusammenzuhalten.

Als Kidos Ermittlungen ins Stocken geraten, spielt ihm der Zufall in die Hände und er kommt organisiertem Identitätsbetrug auf die Schliche.

Keiichiro Hiranos "Das Leben eines Anderen" ist zwischendurch nur mäßig spannend, was die Aufklärung des Falls betrifft. Der Roman pendelt zwischen Ries und Kidos Perspektiven hin und her und beleuchtet die jeweiligen familiären Probleme. Auch Kidos koreanischer Abstammung und seinen Ängsten vor Nationalismus wird viel Raum eingeräumt. Kido wird als Intellektueller beschrieben und daher werden auch Rechtspositionen (der Autor ist studierter Jurist) erläutert, wird aus Anna Karenina zitiert und werden Gedanken zu Ovids "Metamorphosen" eingeflochten.

Kido wird von seiner Ehefrau vorgeworfen, er sei zu ernst. Genauso ernsthaft ist auch Keiichiro Hiranos Erzählton. Wer locker-flockige Unterhaltung sucht, ist mit "Das Leben eines Anderen" sicherlich nicht gut bedient. Ich empfand diesen ruhigeren Erzählton aber angenehm und manche Gedankengänge durchdacht-inspirierend. Insbesondere zu dem schrillen Roman "Bullet Train", den ich direkt davor gelesen habe, war der Kontrast glatt schon wohltuend.

Bibliographische Angaben:
Hirano, Keiichiro: "Das Leben eines Anderen" (Übersetzung aus dem Japanischen: Bierich, Nora), Suhrkamp, Berlin 2022, ISBN 978-3-518-43055-2

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