Ich bin wahrlich kein großer Kenzaburo Oe-Fan, aber den "Roman über meinen Vater", wie es im Untertitel heißt, wollte ich mir nicht entgehen lassen. Wer "Der Tag, an dem ER selbst mir die Tränen abgewischt" gelesen hat, kennt bereits das Motiv, das "Der nasse Tod" zu Grunde liegt. Zum Ende des zweiten Weltkriegs stürzt sich der Vater des Erzählers in einen aussichtslosen Aufstand und kommt um. Vor der Lektüre von "Der nasse Tod" macht es also Sinn "Der Tag, an dem ER selbst mir die Tränen abgewischt" und auch "Tagame. Berlin – Tokyo" gelesen zu haben, da auf die beiden Werke immer wieder eingegangen wird.
Oes Alter Ego Kogito begibt sich in der aktuellen Neuveröffentlichung zurück in seine Heimat. Zehn Jahre nach dem Tod seiner Mutter möchte ihm seine Schwester Asa einen roten Koffer übergeben, wie es die Mutter zu Lebzeiten verfügt hat. Von dem Inhalt des Koffers erhofft sich Kogito Material, um endlich den Roman "Der nasse Tod", in dem er die wahre Geschichte um den mysteriösen Tod seines Vaters darlegen will, zu schreiben. Der frei erfundene Roman "Der Tag an dem ER selbst", der ein ähnliches Thema hatte und schon vor Jahren veröffentlicht wurde, hatte damals zum Bruch mit der Familie geführt. Eine Theatergruppe namens "Caveman" will Kogitos Aufenthalt zudem nutzen, um den noch im Entstehen begriffenen Roman in ein Stück umzusetzen.
In der Tat nimmt die Theaterarbeit den Großteil der Handlung ein. Das Stück soll Collage-artigen Charakter haben und auch der reale Roman benutzt dieses Mittel: Neben der Ich-Erzählung werden Briefe, Zitate, eine Tonbandaufnahme und Interviews eingefügt.
Was entsteht, ist aber leider eben kein "Roman über meinen Vater", sondern eher ein Roman über die Theaterschauspielerin Unaico, die sich mit dem politischen Establishment anlegt. Um starke Frauen geht es ohnehin viel mehr als um den Vater. Irritierenderweise nimmt der Roman auf den letzten dreißig Seiten eine geradezu dramatische Wendung, die irgendwie so gar nicht zu den vorhergehenden knapp 400 Seiten passt und auf mich sehr unrealistisch gewirkt hat. Und so erscheint auch der Roman wie eine Collage, die viel zu viele Themen abdecken mag und nicht fesseln kann.
Leider wirken die Charaktere auch wenig sympathisch und geradezu unzugänglich. Die Figur des Kogito neigt zum Phlegmatismus, Asa erscheint fast schon ein bisschen herrisch, während Unaico als recht spröde beschrieben wird. Dazu kommt noch seitenweise direkte Rede, die die monologisierenden Charaktere recht uncharmant wirken lässt.
Was ich mir bei "Der nasse Tod" sehr gewünscht hätte, das wäre ein ausführliches Nachwort gewesen. Da hätte erläutert werden können, inwieweit der Autor mit seiner Figur Kogito deckungsgleich ist. Und welche Geschehnisse auch in Realität passiert und welche reine Fiktion sind. Wie ist denn Kenzaburo Oes Vater wirklich gestorben? Und was hat es z.B. mit der Geschichte um Meisukes Mutter auf sich? Geht es hier um den Bauernaufstand von 1853, dessen Wortführer Meisuke Miura war? Und gab es wirklich einen Aufstand, der später von Meisukes Mutter angeführt wurde? Google hilft hier leider auch nicht weiter.
Tatsächlich habe ich mich beim Lesen recht durch die Seiten quälen müssen. Und dabei wären die Zutaten wirklich ergiebig gewesen: ein mysteriöser Tod, alte Legenden aus dem Wald, ein eingebildeter Freund aus Kindheitstagen, ein alternder Autor, der sich dem eigenen Tod, seinem verblassenden Ruhm und der Versorgung seines behinderten Sohnes stellen muss, Frauenschicksale, Intrigen aus dem rechten Spektrum… Irgendwie schade, dass der Roman trotzdem allzu zäh zu lesen ist. Und so werde ich auch mit dem Spätwerk des Autors leider kein Oe-Fan.
Bibliographische Angaben:
Oe, Kenzaburo: "Der nasse Tod" (Übersetzung aus dem Japanischen: Bierich, Nora), S.Fischer, Frankfurt/Main 2018, ISBN 978-3-10-397218-4
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Sonntag, 13. Januar 2019
Donnerstag, 27. Dezember 2012
„Wanderjahre“ von Koreya Senda
1975 veröffentlichte Koreya Senda in Japan seine „Geschichte des Shingeki – ganz anders betrachtet“. Kapitel 6 und 7 wurden ins Deutsche übersetzt und als „Wanderjahre“ publiziert. „Wanderjahre“ umfasst primär die Jahre 1927 bis 1932 und damit Koreya Sendas Zeit in Berlin, wo er sich mit linkem, proletarischem Theater befasste. Während in Japan die proletarische Bewegung bereits starker Überwachung ausgesetzt war, findet Koreya Senda in Deutschland noch günstigere Bedingungen für die politische Bewegung wieder. Doch zunächst findet die Frohnatur Senda in Berlin Gefallen an anderen Aktivitäten: Im Café Victoria, wo sich die den japanischen Gästen zugetanen Berliner Fräuleins aufhalten, wird so manche Reichsmark vertrunken – und Koreya Senda zieht sich gleich noch eine Geschlechtskrankheit zu, deren Heilung sein durch den Alkoholkonsum ohnehin strapaziertes Budget noch weiter belastet. Gut, dass ihm ein Statistenjob beim Film angetragen wird. In dem Streifen „Natur und Liebe“ soll er sich zuerst nur im Lendenschurz bekleidet zeigen – und schließlich verlangt der Regisseur gar, dass seine letzte Hülle zu fallen hat.
Doch schließlich wendet sich Koreya Senda doch dem Studium des Theaters zu, weswegen er nach Deutschland gekommen war. Mit den Aufführungen der Piscator-Bühne kann er sich weniger anfreunden. Koreya Senda macht unter anderem die Bekanntschaft von Lu Märten, Gustav von Wangenheim, Arthur Pieck und Maxim Vallentin und verschreibt sich daraufhin Agitproptruppen, tritt in die deutsche KP ein. Zudem engagiert sich der umtriebige Japaner für diverse internationale Theaterverbandsarbeit.
In Berlin lernt Koreya Senda auch seine erste Ehefrau Irmgard Kliem kennen, die ihn bei seiner Rückkehr nach Japan über Moskau im Jahr 1931 begleitet. Wie auch in den Erinnerungen der gemeinsamen Tochter Momoko Nakagawa, die sie in „Der japanische Vater“ niederschrieb, hinterlässt Irma auch in „Wanderjahre“ einen besonders starken Eindruck. Unverblümt, liebenswert und unbekümmert schreitet die politisch engagierte Frau auch in Japan zur Tat. Sie möbelt die heruntergekommene Bleibe auf, kümmert sich aufopfernd um den zeitweilig inhaftierten Koreya Senda und ist durch ihr offenes Wesen gleich allseits beliebt.
In Japan wird das Klima für politisches Theater immer schlechter: Schauspieler werden gar direkt von der Bühne wegverhaftet. Berufsschauspieler haben kein Auskommen mehr und müssen sogar soweit gehen und sich prostituieren, um Geld zum Überleben zu beschaffen. Interne Streitigkeiten tun ein Übriges, um die Situation noch weiter zu Erschweren.
Sicherlich ist „Wanderjahre“ primär für Leser interessant, die ein Faible für linkes Theater und die proletarische Bewegung haben. Insbesondere, wer sich für proletarische Literatur begeistert, trifft in „Wanderjahre“ auf alte Bekannte: In Moskau begegnet Koreya Senda der Schriftstellerin Yuriko Miyamoto, die dort heimlich die Bekanntschaft von KP-Politikern macht und sich schließlich der proletarischen Bewegung zuwendet. Einen Umzug kann sich Koreya Senda nur leisten, nachdem ihm ein Verlag für die Übersetzung von Sunao Tokunagas „Straße ohne Sonne“ einen Vorschuss gegeben hatte. Zusammen mit Trude Eschenbach übersetzt er wenig später Takiji Kobayashis „Der 15. März 1928“.
Doch Koreya Sendas Erzählstil macht einfach auch Spaß; die Frohnatur kam während des Klassenkampfes sichtlich auch auf seine Kosten. Sicherlich mag dies durch den zeitlichen Abstand von mehr als 40 Jahren von Niederschrift zu den Geschehnissen resultieren und für etwas Verklärung sorgen – ein Aufenthalt im japanischen Gefängnis war bestimmt kein Zuckerschlecken.
Bibliographische Angaben:
Senda, Koreya: „Wanderjahre“, Henschelverlag, Berlin 1985
Doch schließlich wendet sich Koreya Senda doch dem Studium des Theaters zu, weswegen er nach Deutschland gekommen war. Mit den Aufführungen der Piscator-Bühne kann er sich weniger anfreunden. Koreya Senda macht unter anderem die Bekanntschaft von Lu Märten, Gustav von Wangenheim, Arthur Pieck und Maxim Vallentin und verschreibt sich daraufhin Agitproptruppen, tritt in die deutsche KP ein. Zudem engagiert sich der umtriebige Japaner für diverse internationale Theaterverbandsarbeit.
In Berlin lernt Koreya Senda auch seine erste Ehefrau Irmgard Kliem kennen, die ihn bei seiner Rückkehr nach Japan über Moskau im Jahr 1931 begleitet. Wie auch in den Erinnerungen der gemeinsamen Tochter Momoko Nakagawa, die sie in „Der japanische Vater“ niederschrieb, hinterlässt Irma auch in „Wanderjahre“ einen besonders starken Eindruck. Unverblümt, liebenswert und unbekümmert schreitet die politisch engagierte Frau auch in Japan zur Tat. Sie möbelt die heruntergekommene Bleibe auf, kümmert sich aufopfernd um den zeitweilig inhaftierten Koreya Senda und ist durch ihr offenes Wesen gleich allseits beliebt.
In Japan wird das Klima für politisches Theater immer schlechter: Schauspieler werden gar direkt von der Bühne wegverhaftet. Berufsschauspieler haben kein Auskommen mehr und müssen sogar soweit gehen und sich prostituieren, um Geld zum Überleben zu beschaffen. Interne Streitigkeiten tun ein Übriges, um die Situation noch weiter zu Erschweren.
Sicherlich ist „Wanderjahre“ primär für Leser interessant, die ein Faible für linkes Theater und die proletarische Bewegung haben. Insbesondere, wer sich für proletarische Literatur begeistert, trifft in „Wanderjahre“ auf alte Bekannte: In Moskau begegnet Koreya Senda der Schriftstellerin Yuriko Miyamoto, die dort heimlich die Bekanntschaft von KP-Politikern macht und sich schließlich der proletarischen Bewegung zuwendet. Einen Umzug kann sich Koreya Senda nur leisten, nachdem ihm ein Verlag für die Übersetzung von Sunao Tokunagas „Straße ohne Sonne“ einen Vorschuss gegeben hatte. Zusammen mit Trude Eschenbach übersetzt er wenig später Takiji Kobayashis „Der 15. März 1928“.
Doch Koreya Sendas Erzählstil macht einfach auch Spaß; die Frohnatur kam während des Klassenkampfes sichtlich auch auf seine Kosten. Sicherlich mag dies durch den zeitlichen Abstand von mehr als 40 Jahren von Niederschrift zu den Geschehnissen resultieren und für etwas Verklärung sorgen – ein Aufenthalt im japanischen Gefängnis war bestimmt kein Zuckerschlecken.
Bibliographische Angaben:
Senda, Koreya: „Wanderjahre“, Henschelverlag, Berlin 1985
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