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Montag, 9. März 2015

„Pflaumenblüten in der Nacht“ von Masuji Ibuse

Den in verschiedenen Anthologien verteilten Erzählungen von Masuji Ibuse konnte ich bisher – leider – nicht allzu viel abgewinnen. Mit „Pflaumenblüten in der Nacht“ hat sich meine Wertschätzung für die Erzählungen des Autors jedoch um einiges erhöht. Erst nach der Lektüre des Bandes ist mir spät, aber immerhin, die Qualität der Erzählkunst des Literaten bewusst geworden. In den vorliegenden Erzählungen werden Stimmungen geschaffen, die den Leser regelrecht in die Handlungen einsaugen, die nicht selten in einem amüsiert-ironischen Ton dargelegt werden und hie und da Sozialkritik enthalten.

Der Band beginnt mit „Der Salamander“, einer Erzählung, die laut des Nachworts von Jürgen Berndt in viele Schulbücher aufgenommen wurde. Jürgen Berndt zitiert Osamu Dazais Kommentar zu „Der Salamander“:

„Als ich ‚Der Salamander’ las [, …] wurde ich so aufgeregt, dass ich nicht mehr stillsitzen konnte.“ (S. 235)

Die 1923 entstandene Erzählung handelt von einem Salamander, dessen Kopfumfang zu groß geworden ist, um aus seiner Höhle herausschlüpfen zu können. Er sitzt im wahrsten Sinne des Wortes fest. Der Salamander schwankt zwischen Wut und Resignation. Als sich ein Frosch in seine Höhle verirrt, verwehrt er ihm kurzer Hand die Rückkehr in die Freiheit. Vor dem Hintergrund der staatlichen Unterdrückung der Arbeiterbewegung und der damit einhergehenden Stimmung in Japan, lässt sich Osamu Dazais Kommentar zu „Der Salamander“ einordnen.

In der autobiographisch angehauchten Kurzgeschichte „Der Karpfen“ bekommt der Ich-Erzähler einen Karpfen geschenkt. Er verspricht seinem Kumpan, der ihm dieses Geschenk macht, den Karpfen nicht zu töten. Und so kümmert sich der Ich-Erzähler um den Karpfen, selbst als sein Freund gestorben ist.

Die Erzählung „Pflaumenblüten in der Nacht“ schlägt eine Tonalität an, die man Osamu Dazai zugeschreiben könnte. Der Ich-Erzähler ist ein Boheme; natürlich immer knapp bei Kasse und recht unvernünftig, was seine Ausgaben betrifft. Eines Abends trifft er auf einen Kerl, der sich gerade geprügelt hat. Der blutende Tunichtgut hat Angst um seinen Job und versucht den Ich-Erzähler zu überzeugen, bei der Polizei eine Falschaussage zu machen, um seinem Arbeitgeber glaubhaft zu versichern, er sei Opfer widriger Umstände geworden. Doch der Ich-Erzähler überzeugt ihn, dem Vorgesetzten eine Ausrede aufzutischen. Als Dank erhält er 10 Yen, die er aber zurückgeben will. Doch wie es so kommt: Die 10 Yen sind schneller verbraucht als gedacht. Und so lebt der Ich-Erzähler in permanenter Angst, der Prügelknabe könnte nun ihn verprügeln kommen.

„Sawan auf dem Dach“ ist eine wehmütige Geschichte über eine Wildgans, deren gestutzte Federn sie am Fliegen hindern. Wie eine Katze wird sie vom Ich-Erzähler gehalten. Doch sobald andere freie Wildgänse in Sawans Nähe kommen, beginnt Sawan herzergreifend zu klagen.

„Zu Hause bei Herrn Tange“, „Die Pilgerherberge“, „Heute keine Sprechstunde“ und „Opa Stiertiger“ wirken dagegen eher wie Milieustudien. Herr Tange lebt auf dem Land und hat einen gar unnützen Diener, der ihm als Kind regelrecht zugelaufen kam.

„Die Pilgerherberge“ hat sich über die Jahre zu einem Asyl entwickelt: Mädchen werden hier gerne ausgesetzt und wachsen in der Herberge ohne Eltern auf.

„Heute keine Sprechstunde“ ist die längste Erzählung des Bandes. Hier wird das Leben und Wirken eines Frauenarztes im Tokio der Nachkriegszeit illustriert. Da gibt es einerseits die hochgestellten Damen, die sich vom Arzt hofieren lassen, andererseits die Patienten, die für die Behandlungskosten nicht aufkommen können. Da büchst schon mal der eine oder andere Kranke aus, um die Zahlung zu prellen. Und wenn’s ganz blöd läuft, stirbt ein Patient lieber, als sich behandeln zu lassen.

„Opa Stiertiger“ ist ein Auslaufmodell, wenn auch ein besonders erfolgreiches: Für seine Zuchtbullen wird er mehrfach ausgezeichnet, geht aber trotz seines hohen Alters weiter mit seinen drei Bullen auf Tour durch die Dörfer, um für die Besamung von Kühen Geld zu verdienen.

Besonders im Kopf hängen bleibt die Erzählung „Ehrerbietung aus der Ferne“: Yuichi ist nicht mehr ganz richtig im Kopf, seit er eine Kriegsverletzung erlitten hat. Selbst als der Krieg zu Ende ist, glaubt er sich als General an der Front. So drangsaliert er die jungen Männer seines Dorfes, sobald er wieder einen Anfall hat und der Meinung ist, ein Angriff stehe kurz bevor. Erst als einer seiner Untergebenen einem Dorfbewohner die Geschichte von Yukichis Verletzung verrät, wird bekannt, weswegen sich der Kerl so am Kopf gestoßen hat, dass er von seiner Mutter eingesperrt wird, sobald er einen Anfall bekommt.

„Der Autobus“ lässt das alte Militärregime in Form eines diktatorischen Busfahrers und die neue Generation von jungen Nonkonformisten in Form eines frischgebackenen Ehepaars aufeinandertreffen. Da wird sich der eine oder andere eine blutige Nase holen…

Zurück ins 17. Jahrhundert geht es in „Yosaku der Siedler“. Zum Zweck der Urbarmachung der Senyo-Heide versucht die Regierung Siedlern das unfruchtbare Land schmackhaft zu machen. Es kommt, wie’s kommen muss: Allerlei Gschwerl lässt sich nieder und so ist’s kein Wunder, dass das heilige Steingrab in der Gegend für ganz profane Dinge herhalten muss: Hier lagern die Bauern ihre Vorräte und der eine oder andere Siedler trifft sich dort zum karteln. Diese Blasphemie muss von den Autoritäten geahndet werden – und so kommt Yosaku auf den Schirm der Polizei.

„Das Soldatenlied ‚Alte Kameraden’“ nimmt den Leser mit auf die Iojima, auf der die letzten Tages des Pazifikkriegs angebrochen sind. Okuyama ist Teil der Besatzung eines Nachschubfrachters und schildert in der Rückschau die letzte Begegnung mit einem dem Tode geweihten Oberst.

Bibliographische Angaben:
Ibuse, Masuji: „Pflaumenblüten in der Nacht“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Bernd, Jürgen), Insel, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-458-16705-6

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