In „Moshi Moshi" beschreibt Banana Yoshimoto ihr Viertel Shimokitazawa - doch nichts währt für die Ewigkeit; auch Shimokitazawa unterliegt peramanenter Veränderung: Alte Häuser werden abgerissen, neue entstehen. Altbewährtes verschwindet und Handelsketten halten Einzug. Ein Phänomen, das auch die Stadtbilder in Deutschland prägt.
Doch nun zum Interview von Yae Onoda - herzlichen Dank an den Diogenes Verlag für die Erlaubnis der Veröffentlichung!
BY: Ich wollte die Atmosphäre von Shimokitazawa, die Stimmung dieses Ortes aufheben und bewahren. In den letzten Jahren hat sich Shimokitazawa rasend schnell verändert. Das beunruhigt mich schon.
Das Stadtviertel Shimokitazawa bei Nacht (Creative Commons-Lizenz; Photocredit: Guwashi999/flickr) |
BY: Als ich hörte, dass „Les Liens“ zumachen würde, war das wie ein Schock für mich. Ich dachte: Dieses Bistro musst du in irgendeiner Form retten! Wenn Sie in Paris sind und irgendwo übernachten, werden Sie nicht weit vom Hotel garantiert ein Bistro finden. „Les Liens“ hatte diese Atmosphäre, es fühlte sich wirklich an, als wären Sie in Paris. Etwa fünf Mal pro Woche bin ich da hingegangen. Das Bistro ist jetzt nach Hatagaya umgezogen und das Angebot von Menus usw. ist immer noch gleich. Insofern bin ich erleichtert. Aber ob ich da einfach zu Fuß hingehen kann oder ins Auto steigen muss, ist halt doch ein Unterschied, leider.
YO: Im Buch erscheinen auch viele andere kleine Lokale, die es in Wirklichkeit gibt oder gegeben hat. Sind das alles Orte, die Ihnen ans Herz gewachsen sind?
BY: Die meisten, ja. Es kommen aber auch welche vor, die ich nicht besonders gut kenne. Ich wollte möglichst nur Lokale in den Roman aufnehmen, deren Besitzerinnen und Besitzer damit einverstanden waren.
Café im Stadtviertel Shimokitazawa (Creative Commons-Lizenz; Photocredit: Guwashi999/flickr) |
BY: Dass es immer mehr Kettenläden gibt. Und dass dem Viertel als Ganzes ein gewisses Gemeinschaftsgefühl abhandengekommen ist. Jeder mag seine individuellen Gründe haben, warum er hier lebt; aber was es früher mehr gab - den Willen, an einem Strang zu ziehen, etwas aufzubauen, das allen zugutekommt -, ist durch verschiedenste eigennützige Interessen durcheinandergeraten. Shimokitazawa zerfällt.
YO: Es gibt aber auch Leute, die sagen, dass dieses Tohuwabohu, dieses Durcheinander von allem Erdenklichen, mit ein Grund ist für den Charme von Shimokitazawa.
BY: Sicher, nichts gegen das Durcheinander an sich. Aber es sollte eine gemeinsame Vorstellung davon geben, was gut ist für Shimokitazawa und was nicht. In anderen Stadtvierteln von Tōkyō gibt es Bürgerbewegungen, die sich dafür einsetzen, dass keine Pachinko-Spielhöllen dorthin kommen. In Kyōto darf kein Gebäude gebaut werden, das mehr als soundso viele Stockwerke hat. Wenn die Bewohner gemeinsam gewisse Regeln bestimmen, die auch eingehalten werden, ansonsten aber alle tun und lassen können, was sie wollen, wächst etwas zusammen. Man kann sich mit dem Ort identifizieren, fühlt sich wie zu Hause. Ein Durcheinander im positiven Sinne, kunterbunt und charmant.
Das Stadtviertel Shimokitazawa bei Nacht (Creative Commons-Lizenz; Photocredit: Guwashi999/flickr) |
BY: Ohne Essen können wir nun mal nicht leben. Durch den Doppelselbstmord des Vaters mit einer wildfremden Frau, durch diesen schockierenden, unerwarteten Verlust verlieren Yotchan und ihre Mutter auch ihren Appetit; aber nach und nach kehrt der Lebenswille zurück und mit ihm die Lust am Essen. Und das Essen wiederum stimuliert die Lebensfreude... Den elementaren Zusammenhang von Essen und Leben – das wollte ich deutlich machen.
YO: Die beiden suchen in Shimokitazawa viele Restaurants und Cafés auf. Beim Lesen hat man das Gefühl, als würden sie sich durch das Essen und Trinken immer mehr mit Shimokitazawa verbunden fühlen.
BY: Nein, es kommen zwar viele Lokale vor, aber im Roman ist es eher so, dass Mutter und Tochter selber kochen. Sie essen irgendwo was Kleines oder gehen nach der Arbeit etwas trinken, aber richtig auswärts essen tun sie eigentlich nicht sehr oft.
Graffiti in Shimokitazawa (Creative Commons-Lizenz; Photocredit: Guwashi999/flickr) |
BY: Ich denke, weniger durch das Essen als einfach durchs Dasein in diesen Lokalen. Dort lernen sie verschiedene Leute kennen, kommen ihnen näher. Wenn Sie mit den Menschen eines Ortes keine gemeinsame Geschichte haben, bleibt Ihnen der Ort mehr oder weniger fremd. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Das Haus, in dem ich früher gewohnt habe, lag an einer großen Straße. Um in ein belebtes Viertel zu kommen, musste man erst über diese Straße. Das Warten an der Ampel dauerte furchtbar lange, und irgendwann hatte ich es satt. Mit diesem Ort verknüpfe ich kaum positive Gedanken und Erinnerungen. Die Freunde aus jener Zeit, mit denen ich noch Kontakt habe, kann ich an einer Hand abzählen. Hier in Shimokitazawa ist das ganz anders. Man lernt relativ schnell und leicht Leute kennen, es geschieht wie von selbst. Das schafft Verbundenheit, gibt einem das Gefühl, als Mensch wahrgenommen zu werden. So wächst auch die Bereitschaft, Menschen in Not, wenn nötig, zu helfen, sich solidarisch zu zeigen. Aber tiefe Freundschaften entwickeln sich auch in Shimokitazawa nicht von heute auf morgen. Etwa drei Jahre dauert es schon.
Das Stadtviertel Shimokitazawa bei Nacht (Creative Commons-Lizenz; Photocredit: Guwashi999/flickr) |
BY: „Das kann doch nicht sein!“, denkst du dir, aber es ist wirklich so. Von einem Tag auf den andern verschwinden alte, vertraute Häuser, und es stehen neue da. Ich habe noch Erinnerungen an Shimokitazawa aus meiner Kindheit, als wir manchmal hierhergekommen sind. Das Gesicht dieses Viertels hat sich in all den Jahren total verändert. Das ist der Lauf der Welt. Den können wir nicht aufhalten. Aber in meinen Erinnerungen ist das Vergangene aufgehoben, das genügt mir eigentlich... Was, wenn ich morgen sterbe? Ich könnte sagen: „Dann verschwindet alles mit mir.“ Aber ich glaube, so ist es auch wieder nicht. Was gewesen ist, ist gewesen, es bleibt in irgendeiner Form bestehen.
YO: Das eigene Erinnern als Mittel, um der steten Veränderung, dem Gefühl von Verlust zu begegnen...
BY: Ja, „Les Liens“ ist zwar aus Shimokitazawa weggezogen, aber ich erinnere mich sehr gut und in großer Dankbarkeit an die Zeit, die ich dort verbracht habe. Es hat mir viel bedeutet, es war schön... Aber die Zeit vergeht, die Stadt verändert sich, es ist alles im Fluss.
Der Bahnhof von Shimokitazawa (Creative Commons-Lizenz; Photocredit: Guwashi999/flickr) |
BY: Nein, gar nicht. Im Gegenteil: Wenn es ein neues Bahnhofsgebäude gäbe, würde ich mich wahrscheinlich sogar freuen. (Lacht)
YO: Und wenn ich sehen würde, wie Sie dort fröhlich einkaufen, wäre ich sicher überrascht.
BY: (Lacht) Wenn ich einmal hingehen und denken würde: „Ach nein, wie schrecklich!“, müsste ich mir wohl überlegen, ob es sich noch lohnt, in Shimokitazawa zu bleiben. Aber ich werde versuchen, immer das Gute zu sehen und es auf meine Art zu bewahren.
YO: Frau Yoshimoto, ich danke Ihnen für das Gespräch.
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