Die ersten beiden Teile ihrer Aufzeichnungen erfolgen in einer Rückschau; der dritte Teil erscheint mehr wie ein Tagebuch. Sie beginnen im Jahr 954, als Kaneie mit Gedichten um Kagero wirbt. Doch kaum wird Kaneie von seiner Angebeteten erhört, scheint sein Interesse an ihr bereits wieder zu schwinden. Er hält sich primär bei einer anderen Nebenfrau auf, die er aber auch alsbald wieder fallen lässt. So konkurriert Kagero nicht nur mit Tokohime, Kaneies Hauptfrau, sondern mit diversen weiteren Nebenfrauen. Sie wartet stets darauf, dass er sie doch bitte besuchen komme, doch meist hält er sie mit allerlei Ausreden hin. So verhungert sie an seinem ausgestreckten Arm. Vor Verzweiflung spielt sie mit dem Gedanken, buddhistische Nonne zu werden und sich vom Diesseits abzuwenden. Doch schließlich ändert sie ihre Prioritäten: Sie widmet sich mehr ihrem leiblichen Sohn und ihrer adoptierten Tochter. Als sie in ein anderes Haus zieht, ohne Kaneie Bescheid zu sagen, kommt es schlussendlich zum Bruch zwischen dem Ehepaar. Die Aufzeichnungen enden schließlich im Jahr 974.
Da Kagero die Beschreibung ihres Alltags aus dem Selbstverständnis der Zeit heraus vornimmt, wird nicht detailliert auf die Bräuche und Gepflogenheiten eingegangen. Diese sind ja für ihre Zeitgenossen selbstverständlich. Der heutige Leser ist auf die Anmerkungen und das Nachwort angewiesen. Erstaunlich war für mich, wie intensiv der Alltag durch Weissagungen geprägt war. Dann und dann hat man enthaltsam zu leben, dann und dann hat man diese oder jene Himmelsrichtung zu meiden. Für einen Mann wie Kaneie, der mit mehreren Frauen jonglieren muss, sind das freilich hervorragende Ausreden, um sich nicht blicken lassen zu müssen.
Gleich zu Beginn legt Kagero ihre Motivationen für ihre Aufzeichnungen dar: Sie ist eine Frau, die in den Tag hinein lebt. Sie liest
„in alten Geschichten, wie sie unter den Leuten verbreitet waren, Geschichten von hergebrachten Lügen, die man gewissenlos so hingeschrieben hatte.“ (S. 7)
Ihr Anspruch ist es, ein realistisches Bild des Lebens als Nebenfrau eines treulosen Adligen zu zeichnen. So kritisiert sie die sozialen Umstände – und das „Kagero Nikki“ mag so als erstes emanzipatorisches Werk Japans gelten.
Aus dem Nachwort erfährt man, dass Kageros Originaltagebuch wohl während den Großen Wirren verloren gegangen ist. Doch da mehrere Abschriften existierten, konnte es im 17. Jahrhundert rekonstruiert werden.
Da Kagero zunächst vor allem für ihre Gedichte Berühmtheit erlangt hatte, soll hier zumindest eines, das sie an Kaneie sandte, zitiert werden:
„Du wolltest lösen
in nichts wie Morgentau dich?
Leichtsinnige ich,
der wandelbarsten Seele,
der flüchtigsten zu vertraun!“
(S. 12)
Hätte sie zu Beginn ihrer Affäre mit Kaneie doch nur auf ihr Gefühl gehört…
Bibliographische Angaben:
Fujiwara, Mitchitsuna no Haha: „Kagero Nikki – Tagebuch einer japanischen Edelfrau ums Jahr 980“ (Übersetzung aus dem Altjapanischen: Tsukakoshi, Satoshi), Ullstein, Frankfurt/Berlin/Wien 1981, ISBN 3-548-30115-0
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