„Die Helden dieses Buches sind keine am Schreibtisch ausgedachten Persönlichkeiten, sondern Menschen, die Japan gelebt haben oder noch leben. Ihr tägliches Einerlei, ihre Freuden und Sorgen, ihr Lachen und Weinen – dem Leser ist es, als ob es sich vor seinen eigenen Augen abspielte.“ (Teil I, S. 293)
So erläutert Wilhelm Schiffer den Grund, warum die Japanisch-Deutsche Gesellschaft in Tokio in den 60er Jahren Bunroku Shishis autobiographisches Werk „Meine Tochter und ich“ in deutscher Übersetzung veröffentlichte. In den 50er Jahren erschien Bunroku Shishis Rückblick auf sein Familienleben erstmalig als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift „Shufo no Tomo“. Die Vornamen seiner Frauen und seiner Tochter weichen zwar von der Wirklichkeit ab, aber man darf annehmen, dass die Handlung sehr nah an den realen Begebenheiten angesiedelt ist.
In selbstironischem Ton beginnt Bunroku Shishi seinen Roman mit der Schilderung der Geburt seiner Tochter, die er hier Mari nennt. Seine erste Ehefrau ist die Französin Helene, die er in Frankreich kennengelernt hatte und – wegen der Schwangerschaft – ehelichte. Hochschwanger kehrt Helene mit dem Ich-Erzähler nach Japan zurück. Helene ist recht anspruchslos, freundet sich mit dem japanischen Essen an und lebt mit ihrem Ehemann beengt in einer kleinen Wohnung. Doch um ihre Gesundheit ist es bald nicht mehr allzu gut bestellt: Bunroku Shishi beschließt, sie zur Pflege zurück nach Frankreich zu bringen. Seine kleine Tochter Mari bleibt zwischenzeitlich bei seiner Schwester in Korea. Mari ist derweil recht unbeeindruckt davon, dass sie vom Vater zeitweilig und von der Mutter längerfristig getrennt wird. Ohnehin benimmt die Kleine sich manchmal eher wie ein raubeiniger kleiner Junge als ein zartes Mädchen.
Für Bunroku Sishi ist die Erziehung von Mari kein Leichtes. Wenn er sie um sich hat, kann er nicht Schreiben und nimmt daher kein Geld ein. Hat er kein Geld, kann er Mari niemandem in die Obhut geben. So erlebt der alleinerziehende Autor einen Teufelskreis, aus dem er zunächst keinen Ausweg findet. Nach dem Tod von Helene beschließt er erneut zu heiraten. Freilich strebt er keine Liebesheirat an – er ist auf der Suche nach einer Mutter für Mari. In der geschiedenen Lehrerin Chizuko glaubt er die geeignete Kandidatin zu finden. Doch aller Anfang ist schwer: Einstweilen empfindet Bunroku Shishi gar eine große Abneigung gegenüber seiner zweiten Frau und Mari tanzt ihr auf der Nase herum. Der Ich-Erzähler kommt nicht umhin, seine neue Ehefrau Chizuko permanent mit seiner ersten Ehefrau Helene zu vergleichen. Doch als Chizuko ihren Wunsch nach einem eigenen Kind aufgeben muss, entspannt sich die Situation.
Das Familienleben pendelt sich zwar nun ein, aber die Zeiten werden stürmischer: Der zweite Weltkrieg beginnt und der Autor schreibt mit „Die Marine“ einen Roman, den die US-amerikanischen Besatzer ihm später ankreiden werden. Die Familie erlebt die letzten Kriegsmonate auf dem Land, um dem Bombenhagel in Tokio zu entgehen. Aufgrund der Wohnungsnot zieht die kleine Familie nach Kriegsende in Chizukos Heimat, nach Shikoku. Dort erlebt Bunroku Shishi eine überraschend angenehme Zeit: Die Lebensmittellage ist weit weniger prekär und in der Gemeinschaft ist er gern gesehen. Doch Mari wird es bald zu fade auf dem Land; sie will zurück nach Tokio. Doch noch ist das Leben in der japanischen Hauptstadt schwierig: Die Lebensmittel sind genauso wie die Wohnungen knapp. Zudem gehen Gerüchte um: Wird Bunroku Shishi wegen seinem Werk „Die Marine“ der Prozess gemacht? Droht im gar die Todesstrafe?
„Meine Tochter und ich“ beginnt in den 20er Jahren und endet in den 50ern. Über weite Passagen illustriert der Autor primär seinen Alltag; die Handlung ist daher nur mäßig spannend. Der Wert des Werks liegt sicherlich mehr in der Schilderung der generellen Lebensumstände und öffnet die Türen in eine andere Kultur und in eine andere Zeit: Der Leser erlebt die Eheanbahnung auf Japanisch, die Sommerfrische am Strand, die lustigen Witwen vor dem Weltkrieg, die immer schwieriger werdende Lage während des Kriegs, die Besatzung durch die USA und die langsame Rückkehr zur Normalität. Die Schreibeweise von Bunroku Shishi wirkt süffisant, doch zwischendurch nerven die ständigen Betonungen, wie faul und bequem er doch sei. Auch nimmt man dem Autor seine Armut nicht ganz ab – so kann er eine Bedienstete bezahlen und im Sommer ans Meer fahren. Hier werden die Lebensumstände sicherlich überzeichnet dargestellt. Nichtsdestotrotz bietet das zweibändige Werk einen interessanten und dennoch kurzweiligen Einblick in das Japan der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.
Bibliographische Angaben:
Shishi, Bunroku: „Meine Tochter und ich I“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Konami, Hirao und Schiffer, Wilhelm), Die Japanisch-Deutsche Gesellschaft e.V., Tokio 1967
Shishi, Bunroku: „Meine Tochter und ich II“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Konami, Hirao und Schiffer, Wilhelm), Die Japanisch-Deutsche Gesellschaft e.V., Tokio 1968
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