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Montag, 3. März 2014

„Der Blitz über dem Reisfeld“ herausgegeben von Mikio Kanda

Das kleine Dorf Kawauchi-Nukui nahe Hiroshima wurde am 06. August 1945 zum „Dorf der Atombombenwitwen“. Doch nicht nur Männer starben: Eine Einheit von arbeitsfähigen, männlichen und weiblichen Freiwilligen war am Morgen des Tages des Atombombenabwurfs nach Hiroshima gegangen, um Aufräumarbeiten zu leisten und Brandschneisen zu schlagen. Die Arbeiten waren fast am Ende angekommen; nur noch ein halber Tag war nötig, um die restlichen Abtransporte zu leisten. Die Freiwilligen freuten sich darauf, am Nachmittag ihren Alltag im Dorf wiederaufnehmen zu können. Doch das Schicksal sollte es anders mit ihnen meinen: Es waren die letzten Stunden ihres Lebens angebrochen; manche starben vermutlich beim oder kurz nach dem Abwurf. Einige wenige gelangten zwar noch nach Hause zu ihren Familien, hauchten aber kurze Zeit später ihr Leben aus.

In „Der Blitz über dem Reisfeld“ kommen 16 dieser Atombombenwitwen aus Kawauchi-Nukui zu Wort, die die Herausgeberin Mikio Kanda Anfang der 80er Jahre interviewte. Die Schicksale verliefen ähnlich grausam und doch war das Leid sehr individuell. Die meisten der Frauen entstammten bäuerlichen Familien und daher erlebten sie eine ärmliche Kindheit, zu der bereits seit jungen Jahren die Mithilfe am Hof gehörte. Verheiratet wurden die Frauen wiederum zumeist in Bauernfamilien, in denen der Alltag von stundenlanger, harter Arbeit und nur wenig Schlaf geprägt war. Manche Familien waren schwer von einer Überschwemmung getroffen worden und hatten sich von dem entstandenen Schaden noch kaum erholt, als über Hiroshima die Atombombe abgeworfen wurde. Jede Frau verlor bei dem Abwurf mindestens einen Angehörigen. Die Geschichten über die großteils erfolglose Suche nach den Mitgliedern der Freiwilligeneinheit sind zum Teil schwer zu verdauen: Da ist beispielsweise eine Frau, die den verkohlten und verwesenden Leichen die Münder öffnet, um anhand der Goldkronen zu bestimmen, ob es sich bei dem Toten vielleicht um ihren Mann handeln könnte. Da ist eine andere, die ihre sterbende Verwandtschaft nur noch an der Stimme erkennen kann, da die Körper zur Unkenntlichkeit entstellt sind. Da ist eine junge Mutter, die sich bei der Suche nach dem Ehemann soviel Strahlung zuzieht, dass sie mit ihrer Muttermilch ihr Baby vergiftet.

Nach Tagen, Wochen oder Monaten des Schocks müssen die Frauen aber wieder hinaus auf das Feld. Ohne die Männer geht ihnen die Arbeit besonders schwer von der Hand. Doch es geht um das weitere Überleben ihrer oft kinderreichen Familien. Unter die Haut gehen dann Schilderungen des Glücks, wenn der im Krieg verstorben geglaubte Sohn doch lebendig zurückkehrt. Oder die unglaubliche Trauer, wenn eine Witwe dazu aufgerufen wird, die Asche ihres als Soldat gefallenen Sohns abzuholen – doch in dem überreichten Holzkästchen befindet sich nur Luft.

Atombombenliteratur ist immer harte Kost, doch die authentischen Erzählungen der Witwen zeichnen ein besonders grausames Bild einer unüberwindbaren Tragik. Obwohl die meisten der interviewten Damen trotz allen Entbehrungen und allen Leids gut ins hohe Alter gekommen sind, tragen sie die Trauer immer noch mit sich. Besonders schmerzvoll wirkt die Geschichte einer der Witwen, die noch Jahrzehnte später nicht von der Hoffnung ablassen konnte, ihr Mann könnte doch noch gesund zurückkehren.

Bibliographische Angaben:
Kanda, Miko (Hrsg.): „Der Blitz über dem Reisfeld“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Akisawa-Schamoni, Mieko & Schamoni, Wolfgang), dtv, München 1985, ISBN 3-423-10467-8

2 Kommentare:

  1. herzlichen dank für diesen hinweis! ich habe bei mir auch eine "schublade" mit atombombenliteratur, in der ich regelmäßig zum 6. august einen entsprechenden titel vorstelle, dieser ist noch nicht dabei.... aber eine gute anregung!
    lg
    fs

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  2. Dankeschön! Ich habe auf Deinem Blog gleich auch noch eine Anregung gefunden: "Als die erste Atombombe fiel" muss ich mir demnächst mal besorgen.

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