Als Tsukuru nach Tokio zum Studieren gegangen war, erhielt er einen überraschenden Anruf eines der Freunde – er solle sich gefälligst nie wieder bei ihnen melden, sie wollen nie wieder Kontakt mit ihm haben. Diese Nachricht stürzte ihn in eine tiefe Depression, die ihm den Tod immer näher brachte. Doch Tsukuru überwand diese schwierige Phase und lebte fort – wenn auch nicht in Saus und Braus, doch überlebte er den Verstoß durch die Freunde, die ihm die Welt bedeutetet hatten. Dennoch fühlte sich Tsukuru leer, farblos und langweilig. Zwischenzeitlich fand er nur einen Freund (mit einer Farbe im Namen), der ihn jedoch auch bald für immer verließ.
Als Tsukuru mit 36 die zwei Jahre ältere Sara kennenlernt, bemerkt diese, dass Tsukuru ein unverarbeiteter Schmerz inne wohnt. Bevor sie sich mit ihm einlassen will, stellt sie ihm die Bedingung, sich mit seinen vier Freunden auszusprechen. Sie steht im mit Rat und Tat bei Seite, um die jeweiligen Treffen zu arrangieren. Schritt für Schritt erfährt Tsukuru, warum seine Freunde ihn aus ihrer Mitte verstoßen haben.
Dem ersten Kapitel von Haruki Murakamis „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ gelingt es noch nicht, den Leser zu fesseln. Das mag an den Personenbeschreibungen liegen, die an faktische Aufzählungen erinnern und so ein recht nüchternes Bild der Charaktere zeichnen. Auch die tiefe Verzweiflung des Tsukuru war für mich nicht recht greifbar. Gott sei Dank rücken die Figuren in den folgenden Kapiteln etwas näher; man beginnt mit Tsukuru mitzuleiden.
Aus der Erzählstruktur wurde mir nicht hundertprozentig klar, ob es sich um einen auktorialen Erzähler handelt. Zu Beginn deutet nur ein Satz darauf hin, dass eine Reflektorfigur erzählen könnte:
„Ich weiß nicht, ob man es einen Zufall nennen kann…“ (S. 11)
Gegen den auktorialen Erzähler spricht, dass Tsukuru anfangs als eine Figur ohne wesentliche Eigenschaften geschildert wird, Tsukurus Freunde dem später aber vehement widersprechen. Die Widersprüchlichkeit von (scheinbarer) Faktizität und der Subjektivität der Charkatere muss der Leser mit sich aushandeln.
Viele typische Murakami-Elemente tauchen auch in „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ auf: Die wunderbare und geheimnisvolle Frau; Schwimmen; ungewöhnliche Namen; ein Musikstück, das den Protagonisten begleitet; plötzliches Verschwinden von Personen; das Verlorensein in der Großstadt; das Gefühl, ein Versager zu sein. Die Grenzgänge, die manche Murakami-Romane beherrschen, sind jedoch nicht ganz so ausgeprägt.
Eine Identifikation mit dem Protagonisten fällt in „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ etwas schwerer als mit den Charakteren anderer Murakami-Werke. Das mag daran liegen, dass die schicksalhafte Wendung 16 Jahre in der Vergangenheit angesiedelt ist und man Tsukuru als Menschen kennenlernt, in dem die Traurigkeit und die Einsamkeit bereits tief verwurzelt sind. Trotzdem geht einem der Schmerz freilich zu Herzen, doch betrachtet man Tsukuru stets aus einer beobachtenden Distanz und beginnt, ihn zu bemitleiden, statt sich mit ihm zu identifizieren. Sicherlich ist „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ gute Unterhaltung, die auch ernste Fragen (Kernfrage für mich: Wäre man heute der-/dieselbe, wenn damals dieses oder jenes nicht passiert wäre?) aufwirft, doch an ältere Murakami-Werke reicht der Roman für mich nicht heran.
Bibliographische Angaben:
Murakami, Haruki: „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula), Dumont, Köln 2014, ISBN 978-3-8321-9748-3
Ich habe das Buch vor kurzem im Handel gesehen und überlegt es zu kaufen...Danke für die Rezension ^^
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