Die Luftfeuchtigkeit in der Stadt K in der Hokuriku-Region kann im Sommer enorm drücken. Die Stürme dort sind auch nicht von schlechten Eltern. An einem solch stürmischen, unangenehmen Sommertag gibt es in der Familie Aosawa ein großes Familienfest, bei dem gleich drei Geburtstage gleichzeitig begangen werden. Die Aosawas sind in K bekannt wie kaum eine andere Familie. Die alteingesessene Arztfamilie betreibt ein Krankenhaus mit einem angeschlossenem Wohnhaus, das durch drei runde Fenster architektonisch besonders heraus sticht.
Insbesondere die blinde, junge Tochter des Hauses namens Hisayo wird wegen ihres Stils und ihrer Kultiviertheit verehrt. Doch auch ansonsten gilt die Familie nicht nur als mustergültig, sondern auch vermögend.
Die Gratulanten geben sich daher an diesem Festtag die Klinke in die Hand. Doch der Tag soll als toxisch in die Geschichte der Stadt K eingehen: Vergiftete Getränke töten fast die gesamte Festgesellschaft. Nur zwei Personen überleben: Die Hausangestellte Kimi, die wegen eines Anrufs nur kurz von ihrem Drink nippen konnte und so eine nicht-tödliche Dosis des Gifts einnahm. Und die ätherische Hisayo.
Obwohl der Fall bald aufgeklärt scheint, hegen einige Personen noch Jahre später Zweifel, ob der psychisch Kranke, der sich durch Selbstmord einer Befragung entzogen hat, wirklich der wahre oder alleinige Täter war.
Da ist z.B. Makiko, die zehn Jahre später ein Buch über die Geschehnisse in ihrem Nachbarhaus schreibt. Ein Ermittler glaubt, der wahre Drahtzieher ist mangels Beweisen nach wie vor auf freiem Fuß. Und eine zunächst noch unsichtbare Person stellt sehr viel später eigene Ermittlungen an.
Riku Ondas „Die Aosawa-Morde“ besticht nebst der Handlung über unterschiedliche Erzählweisen. Die nebulöse Person interviewt unter anderem Makiko als auch weitere Zeugen der Morde. Zeitungsartikel, Briefe, Ich-Erzählung und personale Erzählung gesellen sich dazu. Stück für Stück wird so der geheimnisvolle Schleier, der über den Aosawa-Morden liegt, gelüftet.
Der Roman zieht den Leser durch die drückend-düstere Atmosphäre und die geheimnisvolle Hisayo schnell in den Bann. Was ist die Wahrheit? Gibt es das überhaupt – eine allgemeingültige Wahrheit? Ist sie nicht immer nur die Wahrheit des jeweiligen Betrachters? So darf es auch nicht verwundern, dass „Die Aoswa-Morde“ keine Lösung auf dem Silbertablett bietet. Wer sich daran nicht stört, der lässt sich mit dem ungewöhnlichen Krimi auf ein ganz besonderes Leseabenteuer ein.
Bibliographische Angaben:
Onda, Riku: „Die Aoswa-Morde“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Bartels, Nora),
Atrium, Zürich 2022, ISBN 978-3-85535-127-5
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