Labels

Mittwoch, 2. Mai 2018

"Bruchstücke" von Nanae Aoyama

Neben der titelgebenden Erzählung "Bruchstücke" umfasst die Neuveröffentlichung des Cass Verlags noch die weiteren beiden Werke "Farinas Zimmer" und "Wildkatzen" der  Autorin Nanae Aoyama. Im Mittelpunkt der jeweiligen Erzählung steht eine schwierige, wenn nicht sogar negativ besetzte zwischenmenschliche Beziehung.

So geht es in "Bruchstücke" um die Vater-Tochter-Beziehung von Tadao und der Ich-Erzählerin Kiriko. Die beiden finden sich plötzlich zu zweit auf einer Tagesfahrt wieder, die ursprünglich als größerer Familienausflug geplant war. Mit ihrem Vater kann Kiriko so gar nichts anfangen und so versucht sie, die Zeit für ein Fotoprojekt zu nutzen, das unter dem Motto "Bruchstücke" steht. Für das Projekt taugen die Bilder nicht so wirklich. Dafür wird aber klar, dass die Familienidylle in Scherben liegt und keinesfalls durch einen kleinen Ausflug gekittet werden kann.

In "Farinas Zimmer" berichtet der Ich-Erzähler von seiner gescheiterten Beziehung zu Farina, die in ihrer Art so staubtrocken wie Mehl wirkt. Trotz ihrer schroffen Art verliebt sich Ryosuke in sie, was in seinem Bekanntenkreis auf Verwunderung stösst.

"Als ich mit Farina zusammen war, schmeichelte ich mir mit dem Gedanken, der Einzige zu sein, der wusste, wie wundervoll sie ist." (S. 63)

Doch eines Tages trennt sich Farina urplötzlich von Ryosuke. Schön blöd, dass beide im selben Haus wohnen und er immer wieder an seine Ex-Freundin erinnert wird. Als Ryosuke sich in die bezaubernde Hanako verliebt und sich gar verlobt, steht ein Auszug seinerseits an. Ist das der endgültige Schlussstrich unter jedwede Beziehung zu Farina?

In "Wildkatzen" bekommt das frischverheiratete Ehepaar Akihito und Kyoko Besuch von Kyokos jüngerer Cousine Shiori. Shiori stammt aus Okinawa und möchte sich in Tokio Universitäten ansehen. Zwar ist Kyoko nicht sonderlich erpicht darauf, dass die junge Dame zu diesem Zweck gerade bei ihr übernachten soll, aber schließlich möchte sie ihrer Tante einen Gefallen tun. Leider entpuppt sich Shiori als ein unzugängliches, schweigsames Ding. Nur ein einziges Mal scheint sie wirklich zu lachen - als sie erzählt, dass ein Onkel einen Unfall hatte. Und so verwundert nicht, dass die nächsten Tage von einer gewissen Spannung geprägt sind. Und das Ehepaar die Abreise des Gastes kaum mehr erwarten kann.

Ganz anders als bei Banana Yoshimoto, die ihren Protagonistinnen immer positive zwischenmenschliche Beziehungen widerfahren lässt, präsentiert Nanae Aoyama Gegebenheiten, die negativ ausfallen und daher sicherlich realistischer und nachvollziehbar sind. Wer kennt sie nicht, die Situationen, in denen man einen ungebetenen Gast beherbergt und die Zeit der Abreise kaum erwarten kann. Oder die unangenehmen Situationen mit Verwandten, mit denen man nicht auf einer Wellenlinie liegt und mit denen man sich nichts zu sagen hat.

Trotz der wenigen Seiten, die jeder Erzählung gewidmet sind, gelingt es der Autorin, ihre Protagonisten wunderbar anschaulich herauszuarbeiten. Ein kleines Beispiel hierzu:

"Mit Farinas Zuneigung war es wie mit einem Wasserhahn.
Wenn sie aufdrehte, war sie so nah, dass sie mich mit ihrer Nähe fast erdrückte." (S. 58)

Damit sind Nanae Aoyamas Werke keine Bruchstücke in Form von Erzählungen, sondern kleine Perlen der Erzählkunst. Hoffentlich plant der Cass Verlag noch weitere Veröffentlichungen der Autorin!

Bibliographische Angaben:
Aoyama, Nanae: "Bruchstücke" (Übersetzung aus dem Japanischen: Busson, Katja & Lommatzsch, Frieder), Cass, Löhne 2018, ISBN 978-3-944751-17-7

1 Kommentar:

  1. Einen wunderschönen guten Morgen/Nachmittag/Abend/Nacht sende ich durch die virtuellen Steppen! Ich bin vor kurzem über diesen Blog gestolpert und bin begeistert. Vermutlich werde ich nicht alles lesen, aber einiges möchte ich mitnehmen. Diesen kleinen Kommentar hinterlasse ich, um laut 'Danke' zu sagen. Ich schätze die Arbeit, die hier in all den Zusammenfassungen, Listen und Links steckt. Das ist keine Selbstverständlichkeit und zeugt von einer ungewöhnlich intensiven Begeisterung für ein "Nischenthema". (Ach - wenn es doch nur für jedes Literatur-Land der Erde einen solch freundlichen Blog gäbe). - Der Lurker-Dunedain zieht seine Kapuze über den Kopf und wird wieder eins mit der unaufgeregten Kulisse abseits des Weges ...

    AntwortenLöschen