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Sonntag, 22. Februar 2015

„Gesammelte Erzählungen“/„Tod im Hochsommer“ von Yukio Mishima

Jedem Yukio Mishima-Einsteiger sei der Band „Gesammelte Erzählungen“ (auch erschienen als „Tod im Hochsommer“) sehr ans Herz gelegt. Er bietet ein sensationelles Preis-Leistungs-Verhältnis, da unter anderem die auch als Einzelpublikationen erschienen Erzählungen bzw. Kurzromane „Patriotismus“ und „Die Brandung“ enthalten sind.

Der Band startet mit der tragischen Erzählung „Tod im Hochsommer“: Die dreifache Mutter Tomoko verliert bei einem Badeunfall sowohl zwei ihrer Kinder als auch die Schwägerin, die den Nachwuchs eigentlich hätte beaufsichtigen sollen. Zum Schock gesellen sich Schuldgefühle; die Beziehung zu ihrem Mann leidet. Sie versucht sich an verschiedenen Strategien, um auf den Weg in die Normalität zurück zu finden.

„Drei Millionen Yen“ sind er Betrag, von dem Kenzo und seine Frau Kiyoko träumen. Noch leisten sich die beiden nur drei Kekse, die wie je ein eine Million Yen-Schein gestaltet sind. Vielleicht versprechen die Kekse den beiden Glück für den kommenden Abend, denn es scheint ein Auftrag zu winken, der sowohl etwas dubios, dafür aber auch lukrativ ist.

„Thermosflaschen“ spielen eine verräterische Rolle in Yukio Mishimas gleichnamiger Erzählung. Wieso hat der kleine Sohn von Kawase nur so eine Angst vor Thermoskannen?

In einer Zeit, in der die Erfindung von Thermoskannen noch lange nicht ansteht, spielt „Der Priester des Tempels in Shiga und seine Liebe“: Der tugendhafte Priester von Shiga hat dem Diesseits schon lange abgeschworen. Doch als er eine besonders liebreizende Hofdame des Kaisers erblickt, ist es um seinen kontemplativen Zustand geschehen. Alle Versuche, die Konkubine des Herrschers aus seinen Gedanken zu verdrängen, scheitern. Die Hofdame wiederum ist von ihrem diesseitigen Leben schon längst völlig übersättigt und glaubt wie der Priester an den Lotos-Buddhismus. Steht die verrückte Liebe dem Eingang ins buddhistische Paradies entgegen oder mag sie beiden den Weg dorthin ebnen?

Die zwei Geishas Koyumi und Kanako und die Gastwirtstochter Masako wollen in einer Vollmondnacht eine stille Prozession abhalten. In „Die sieben Brücken“ folgen die drei einem Aberglauben: Wer schweigend und betend sieben Brücken im nächtlichen Tokio überquert, dem geht ein Wunsch in Erfüllung. Masako wird von ihrer Mutter der Bauerntrampel Mina mit auf den Weg gegeben. Es stellt sich heraus, dass die sieben Brücken gar nicht so einfach zu passieren sind.

Yukio Mishimas „Patriotismus“ wirkt hinsichtlich des späteren Seppukus des Autors doppelt abstoßend: Im Jahr 1936 hat Leutnant Takeyama keine Teilhabe an einem missglückten Putschversuch seiner Kameraden. Seine Freunde hatten den seit kurzem vermählten Takeyama aus Rücksicht auf die frische Ehe nicht in den Plan eingeweiht. Doch nun soll Takeyama gegen die Kameraden vorgehen – eine ausweglose Situation für sein Ehrgefühl. Da bleibt ihm nur eines, um sowohl seinen Kameraden als auch seiner Pflicht treu ergeben zu bleiben: Takeyama beschließt, sich den Bauch aufzuschlitzen. Seine Ehefrau Reiko ist ihm derart ergeben, dass sie ihm in den Tod folgen wird. Bei der Lektüre drängt sich der Eindruck auf, dass Yukio Mishima mit „Patriotismus“ sein Idealbild des eigenen Todes skizziert hat. Da verwundert auch nicht, dass er selbst die Rolle des Takeyama in der Verfilmung (anzusehen z.B. hier auf Youtube) angenommen hat. Der Schwarz-Weiß-Film wird den bildhaften Schilderungen der Erzählung jedoch kaum gerecht. Mishima erzeugt im Kopf des Lesers weit drastischere Bilder, die man lieber wieder vergessen mag. Hier zeigt sich einerseits die Erzählkunst des Autors; andererseits offenbart sich seine Besessenheit von einer Todesästhetik, die man ganz weit von sich weisen mag.

Yukio Mishima, der zwar verheiratet war, dem aber auch homosexuelle Neigungen nachgesagt werden, schreibt mit „Der Onnagata“ über ein Thema, was in Japan Tradition hat: über die gleichgeschlechtliche Liebe zu einem Kabuki-Schauspieler. Der Onnagata Mangiku schlüpft als Kabuki-Darsteller in weibliche Rollen und benimmt sich auch in seiner Freizeit mehr wie eine Frau als ein Mann. Masuyama bewundert den Schauspieler schon seit langem und schließlich beginnt er sogar für das Theater zu arbeiten, in dem Mangiku engagiert ist. Als der junge Kawasaki als Regisseur für ein neues Stück eingestellt wird, bringt er nicht nur neuen Wind, sondern auch viel Missstimmung ins Theater. Masuyama obliegt es, zwischen dem modernen Regisseur und den traditionellen Kabuki-Schauspielern zu vermitteln. Keine leichte Aufgabe, insbesondere da überraschende Gefühle am Werke sind.

„Die Perle“ ist eine humorvolle Betrachtung der Beziehungen zwischen einigen reichen Damen und deren Intrigen. Auf der Geburtstagsfeier von Frau Sasaki kommt eine Perle abhanden. Eine der eingeladenen Damen hat sich da wohl einen bösen Scherz erlaubt, der alle Gäste gleichsam in die Bredouille bringen und das Beziehungsgeflecht der Damen untereinander beeinflussen wird.

Die Kurzgeschichte „Windeln“ umfasst nur sechs Seiten, fesselt aber vielleicht sogar mehr als einige längere Erzählung in dem Band: Toshiko wird Zeuge der überraschenden Niederkunft ihres neuen Hausmädchens. Das uneheliche Kind wird Toshikos Schicksal bestimmen.

„Die Brandung“ ist eher Roman als Erzählung. Yukio Mishima adaptiert hier die klassisch-griechische Liebesgeschichte von Daphnis und Chloe: In den 50er Jahren lebt der 18-jährige Halbwaise Shinji zusammen mit Mutter und Bruder auf der Fischerinsel Uta-jima. Als die schöne Hatsue auf die Insel zu ihrem Vater zurückkehrt, verliebt sich Shinji zum ersten Mal. Für die Inselbewohner ist klar, dass Hatsue bald verheiratet werden soll. Wer würde da besser passen, als Yasuo, der sich immer exzellent in Szene zu setzen weiß, aber eigentlich ein recht fauler Hund ist. Der stille, arme Shinji erscheint überhaupt nicht auf dem Radar der Erwachsenen als potenzieller Partner von Hatsue. Doch Hatsue findet dafür umso mehr Gefallen an Shinji. Jedoch bleiben die amourösen Gefühle der beiden nicht unentdeckt. Hatsues Vater, eine graue Eminenz der Insel, bestraft seine Tochter mit Stubenarrest. Trotz aller Repressalien bleiben sich die beiden Liebenden treu. Ob ihnen ein Happy End vergönnt sein wird?

Yukio Mishima zeigt sich in „Gesammelte Erzählungen“ als ein Autor, der der Atmosphäre eine Dichte geben kann, die fast schon – wie in „Patriotismus“ – unerträglich werden kann. Teilweise wirken seine Darstellungen extrem überästhetisiert, teilweise kann man sich in die Beschreibungen bestens einfühlen. Eine gewisse Ambivalenz empfindet man ob Mishimas Biographie und Lebenseinstellung an vielen Stellen des Bandes – was die Lektüre aber sicherlich bereichert und für die Auswahl der Werke spricht.

Bibliographische Angaben:
Mishima, Yukio: „Gesammelte Erzählungen“ (Übersetzung aus dem Amerikanischen: Hengst, Ulla bzw. Übersetzung aus dem Japanischen: Benl, Oscar & Uslar, Gerda v.), Rowohlt, Reinbek 1971, ISBN 3-498-09280-4

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