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Donnerstag, 17. Juli 2014

„Mein Sohn Takiji“ von Ayako Miura

Nichts mag für eine Mutter so schlimm sein, wie ihr geliebtes Kind durch gewaltsamen Tod zu verlieren. Ayako Miura lässt in „Mein Sohn Takiji“ die 88-jährige Sen zu Wort kommen, die das Leben und den Tod ihres Sohnes Takiji Revue passieren lässt. Bei Takiji handelt es sich dabei nicht um eine imaginierte Person, sondern um den Autor der proletarischen Literaturbewegung Takiji Kobayashi, der im Jahr 1933 verhaftet und zu Tode gefoltert wurde. Ayako Miuras „Mein Sohn Takiji“ basiert auf den realen Geschehnissen; der Monolog der Mutter Sen ist freilich ein Produkt von Ayako Miuras literarischer Schaffenskraft: 

Da sitzt Sen im Haus ihrer Tochter Chima und spricht direkt zum Leser. Sie beginnt mit ihrem eigenen Schicksal wie sie in ärmlichsten Verhältnissen aufwächst und als Teenager verheiratet wird. Die Familie der Kobayashis ist ebenfalls verarmt, doch gebildet. Nach dem Tod des ältesten Sohns Takiro zieht die Familie von Otaru nach Hokkaido. Takiji als Zweitgeborener wird dort von seinem Onkel gefördert und kann Wirtschaftswissenschaften studieren. Takiji entwickelt sich zu einem gerechtigkeitsliebenden, fröhlichen jungen Mann, der alles in seiner Macht stehende leistet, seine Familie finanziell zu unterstützen. Er träumt den Traum, die Gesellschaft zu verbessern, hat er doch bereits schon früh die Härten der armen, arbeitenden Bevölkerung erlebt: Seine Eltern begeben sich bei Bauarbeiten in Lebensgefahr, Arbeiter werden schlimmer als Vieh behandelt und junge Mädchen werden in die Prostitution verkauft. Indem Takiji Romane schreibt, will er seinen Beitrag leisten, die Lebensumstände zu verbessern.

Als Takiji nach Tokio geht, beginnen seine Probleme mit der Polizei. Er wird mehrfach verhaftet und geht schließlich in den Untergrund. Als ihn ein Spitzel verrät, wird er erneut verhaftet und schließlich zu Tode gefoltert. Seine Mutter trifft der Verlust besonders hart. Wie kann es einen Gott geben, wenn dieser zulässt, dass ihr Sohn, der die Nächstenliebe verkörpert, auf so schlimme Weise gemartert wird und sein Leben lassen muss. Hier zieht die christliche Autorin Ayako Miura einen Vergleich zu Jesus: War nicht auch Jesus von der Nächstenliebe beseelt, wurde nicht auch er verraten und musste nicht auch er wegen seinen Überzeugungen sterben? Langsam nähert sich Sen dem Christentum an und scheint im Alter endlich ihren Frieden finden zu können.

Indem Ayako Miura Sen frei erzählen lässt, erscheint es dem Leser, als würde man tatsächlich exklusiv von Takiji Kobayashis Mutter dessen Lebensgeschichte erzählt bekommen. Die Erzählweise ist äußerst lebendig, manchmal aber auch sprunghaft. Mit der Zeit wächst einem die alte Dame immer mehr ans Herz. Umso tragischer erlebt der Leser auch das Ende von Takiji Kobayashi mit. Allzu christliche Literatur liegt mir zwar nicht sonderlich, aber Ayako Miura gelingt es in „Mein Sohn Takiji“, die richtige Dosis einzusetzen. Sen ist nicht getauft, aber findet zumindest etwas Trost im christlichen Glauben. Auch wenn das Thema von Ayako Miuras „Mein Sohn Takiji“ schwere Kost ist – der Kurzroman lohnt sich enorm!

Bibliographische Angaben:
Miura, Ayako: „Mein Sohn Takiji“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Bierwirth, Gerhard & Moriwaki, Arno), Iudicium, München 2014, ISBN 978-3-86205-391-9

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