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Donnerstag, 12. September 2024

"Das Loch" von Hiroko Oyamada

Hiroko Oyamadas "Das Loch" wurde mit dem Akutagawa-Preis prämiert. "Die Zeit" nennt das schmale Büchlein mit ca. 120 Seiten Umfang gar "ein Meisterstück der Unheimlichkeit". So ganz mag ich in den Lobgesang allerdings nicht einfallen. 

Doch zunächst zur Handlung: Die Ich-Erzählerin Asa steht vor einem neuen Lebensabschnitt. Als ihr Mann aufs Land versetzt wird, kündigt sie ihren Job und wird Hausfrau. Das Ehepaar zieht in das Haus neben dem der Schwiegereltern ein. Asas Alltag ist nun eintönig und dennoch vergeht die Zeit besonders schnell:

"Wer keine Termine mehr hat, keine Fristen, die eingehalten werden müssen, keine Meetings oder Gehaltstage, welche die Zeit Stunde um Stunde, Minute um Minute struktieren, dem scheint sie zwischen den Fingern zu zerrinnen, in einem Tempo, das einem unfassbar erscheint." (S. 29)

Es ist flirrend heiß im ersten Sommer nach dem Umzug. Asa verweigert sich die bequeme Klimaanlage und versucht, der Hitze zu trotzen. Der alte Großvater ihres Ehemanns verbringt seine Tage damit, den Rasen zu sprengen. Alles ist in gleißendes Licht und Schatten getaucht. 

Auf einem Spaziergang läuft Asa ein seltsames, schwarzes Getier über den Weg. Neugierig folgt sie dem Wesen und fällt aus einer Unachtsamkeit in ein Loch, aus dem sie sich nicht mehr selbst befreien kann. Dank eines Zufalls erhält sich Hilfe durch eine vorbeiflanierende Nachbarin.

Doch die seltsamen Gegebenheiten nehmen zu - wer wohnt denn scheinbar unbemerkt hinter dem Haus der Schwiegereltern? Der aufmerksame Leser merkt, dass da wohl was nicht mit rechten Dingen zugeht.

Wer schon mehrere Werke des magischen Realismus gelesen hat, der wird "Das Loch" vielleicht nicht gleich als "Meisterstück der Unheimlichkeit" lobpreisen. Schließlich scheint die Geisterwelt in Japan ja auch nichts mit gruseligen Schlossgespenstern aus dem europäischen Raum zu tun zu haben, sondern eher als tatsächlich mögliche Gegebenheit, die zwar überrascht, aber nicht schockiert. Oder wie es die Autorin einem ihrer Akteuren in den Mund legt:

"Im Allgemeinen sehen sie alle nichts. Wer etwas nicht sehen will, sieht es auch nicht." (S. 92)

Sicherlich ist das Büchlein sprachlich auf hohem Niveau, aber leider schon wieder zu Ende, als man sich gerade mit den Charakteren angefreundet hat.

Ich hoffe allerdings inständig, dass bald auch Hiroko Oyamadas "Die Fabrik" ins Deutsche übersetzt wird. Die Handlung des literarischen Erstlings klingt so herrlich kafkaesk, dass man richtig neugierig auf das Werk wird.

Bibliographische Angaben:
Oyamada, Hiroko: "Das Loch" (Übersetzung aus dem Japanischen: Bierich, Nora), Rowohlt, Hamburg 2024, ISBN 978-3-498-00486-6

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