Labels

Dienstag, 17. September 2024

„Eine kurze Begegnung“ von Emily Itami

Als Halb-Japanerin hat Emily Itami den Blick einer Ethnologin und beobachtet und illustriert besonders scharf, was Mutterschaft und Hausfrauendasein in Japan bedeutet. Ihre Protagonistin Mizuki ist durch Auslandsaufenthalte in den USA ebenfalls reich an kulturübergreifenden Erfahrungen und hadert mit ihrem Schicksal: Ihr Ehemann Tatsuya macht Karriere, macht ständig Überstunden, ist immer auf Abruf oder am Handy, um Arbeitsmails zu beantworten. Mizuki, die im Nightlife gearbeitet hat, vermisst ihr altes, glamouröseres Leben. Als Hausfrau und Mutter unterliegt sie dem Druck nach Perfektion. Sie soll gefälligst Kinder und Haushalt völlig im Griff haben, überall pünktlich mit adretten und gut erzogenen Sprösslingen auftauchen und lustige Bento-Boxen vorbereitet haben.

Eigentlich, ja eigentlich führt Mizuki ein gutes Leben und hat keinen Grund zur Klage. Doch die Tristesse des Alltags treibt sie in die Arme eines Liebhabers.

An sich fand ich das Thema von „Eine kurze Begegnung“ recht gut. Zudem arbeitet die Autorin Emily Itami kulturelle Unterschiede zwischen Japan und „dem Westen“ gut heraus und entführt den Leser auf eine kleine Sightseeingtour nach Tokio. Und jetzt kommt das Aber: Ich konnte mich mit der Protagonistin leider so überhaupt nicht anfreunden. Sie beschreibt sich als so ultrasexy, geht mit ihren französischen Freundinnen anlässlich der Fashion Week zu Chanel und hat natürlich Hammer-Outfits im Schrank. Da mag man der Autorin die Gesellschaftskritik „zu hohe Ansprüche an Mütter“ dann auch nicht mehr abnehmen, wenn ihre Protagonistin eine anderweitige, nämliche die optische Perfektion nach oben hält.

Zudem habe ich mir mit manchen Bandwurmsätzen wirklich schwer getan. Eine kleine Kostprobe:

„Dann, eines Tages, komme ich plötzlich zu mir, sehe in den Spiegel und frage mich Was habe ich noch mal gemacht, auf eine Weise, die völlig angemessen ist, wenn man gerade auf dem Weg ins Wohnzimmer war, um etwas zu holen, und einen der Gedanke an einen früheren Liebhaber abgelenkt hat, aber alles andere als ideal, wenn die Träumerei drei Jahre angedauert hat.“ (S. 67 f)

Vielleicht liegt’s an der Autorin, vielleicht auch an der Übersetzerin. So findet man teilweise auch ggf. falsch übersetzte Begriffe – ich kann hier nur vermuten da mir das englische Original nicht vorliegt. Als Mizuki aus New York zurückkehrt und in Tokio als Sängerin

„wieder von vorne beginnen würde, diesmal jedoch bewaffnet mit Aufnahmen und mehreren Sets und einem Teil des Jargons, wenn auch in der falschen Sprache.“ (S. 116)

Ist mit „Jargon“ nicht eigentlich „Repertoire“ gemeint? Jargon macht für mich so gar keinen Sinn.

Oder auch der erste Satz des letzten Kapitels, der da lautet:

„Das ist es.“ (S. 273)

Mag das im englischen Original ein „That’s it.“ sein? Dann würde man das doch eher mit „Das war’s.“ übersetzen, weil es einen Endpunkt markiert?

Insgesamt bin ich bei „Eine kurze Begegnung“ sehr zwiegespalten, inwieweit ich den Roman empfehlen würde. Vielleicht ist da ein bisschen Potenzial verloren gegangen, weil die sehr auf die eigene Optik fokussierte Protagonistin oberflächlich rüberkommt. Ein bisschen Potenzial wegen dem stockenden Lesefluss abhanden gekommen ist… Da wäre also noch Luft nach oben gewesen…

Bibliographische Angaben:
Itami, Emily: „Eine kurze Begegnung“ (Übersetzung aus dem Englischen: Karamustafa, Melike), Blessing, München 2023, ISBN 978-3-89667-749-5

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen