Mit „Schwere Blumen“ liegt der zweite ins Deutsche übersetzte Roman des magischen Realisten Natsuki Ikezawa vor. Im Zentrum des Geschehens stehen zwei Geschwister in ihren 20er Jahren: Der große Bruder Tetsuro ist in Bali beim Drogenkonsum von der Polizei erwischt worden – ihm droht nun die Todesstrafe. Seine jüngere Schwester Kaoru eilt ihm zu Hilfe, da sich die Auslands-unerfahrenen Eltern zu hilflos anstellen würden.
Abwechselnd wird die Perspektive des Bruders und der Schwester dargestellt. Tetsuro erlebt im Gefängnis den kalten Entzug, der sehr eindrücklich dargestellt wird. In Rückblenden erfährt der Leser, wie sich der junge Mann als Künstler zu etablieren versucht: Er rebelliert gegen den Vater und dessen Wunsch, einen handfesteren Beruf zu erlernen, er macht sich auf in die Welt, um seinen Stil zu schärfen. Schließlich trifft er in Thailand auf Ingeborg, einer deutschen Finanzbuchhalterin, die ihn zum Heroinkonsum verführt. Während Ingeborg der Droge nicht verfällt, sondern sehr rational damit umgeht, wird Tetsuro zum Junkie, der schließlich in Bali verhaftet wird. Zu großen Teilen ist der Part, in dem Tetsuro eigentlich in der Ich-Perspektive sprechen sollte, in der zweiten Person Singular gehalten. Dies wirkt so, als hätte der Gefangene eine gewisse Abneigung gegen sich – und tatsächlich hat er noch mehr Schuld auf sich geladen, als nur seinen eigenen Körper mit Drogen zu vergiften.
Auch die jüngere Schwester Kaoru ist in die weite Welt hinausgezogen, hat in Paris studiert und jettet als Koordinatorin für Filmteams von Kontinent zu Kontinent. Als Tetsuro verhaftet wird, ist es an Kaoru, nach Bali zu fliegen, und den vom Drogenentzug völlig lethargischen Tetsuro aus voller Kraft zu unterstützen. Denn wie es in der urtümlichen japanischen Mythologie heißt: Die Schwestern sind die Schutzgöttinnen der Brüder. Sie haben die Kraft, Unheil von ihnen abzuwenden. Ein weiteres Motiv der Schadensabwehr wird mehrfach in „Schwere Blumen“ gespielt: Gegen den Strom zu schwimmen, vergeudet nur unnötige Kräfte und wird nicht zielführend sein. Stattdessen gilt es, quer zum Strom zu schwimmen und sich so aus einer misslichen Lage zu befreien.
Natsuki Ikezawa schildert zwar eine an sich realistische Situation, lässt aber an vielen Stellen religiöse und metaphysische Elemente einfließen: Da ist eine nächtliche Taufe in einem Fluss nahe Paris. Da sind Gedanken um Schutzgötter. Da wird über das Zu-Stein-Werden und das Beten philosophiert. Hin und wieder wird die Handlung auch etwas überspitzt dargestellt. Natsuki Ikezawa kontrastiert zudem auch den europäischen Lebensstil mit dem asiatischen, indem er den Charakter der effizient handelnden, kompromisslosen Ingeborg einführt.
Ein, zwei zentrale Stellen in Natsuki Ikezawas „Schwere Blumen“ hätte ich mir gern noch ein bisschen prägnanter ausformuliert gewünscht. Vergleicht man „Schwere Blumen“ mit dem ersten ins Deutsche übersetzten Natsuki Ikezawa-Roman, so hat mich der „Aufstieg und Fall des Macias Guili“ gerade deswegen so in den Bann gezogen, da die metaphysischen Erfahrungen sehr ausführlich waren und man komplett in die dargestellte Parallelwelt abtauchen konnte. Gerade am zentralen Wendepunkt von „Schwere Blumen“ habe ich dies etwas vermisst.
Nichtsdestotrotz ist „Schwere Blumen“ ein sehr vielschichtiger Roman, den man auf sich wirken lassen sollte. Er lebt von Antagonismen wie Ost/West, Glaube/Nicht-Glaube, gut/schlecht, männlich/weiblich, alt/jung und noch vielen mehr. Sie alle gilt es zu entdecken – und schließlich erwischt man sich dabei, dass man recht sehnsüchtig auf einem Reiseportal nachsieht, wie viel denn ein Trip nach Bali gerade kosten würde.
Bibliographische Angaben:
Ikezawa, Natsuki: „Schwere Blumen“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Mangold, Sabine), Abera, Hamburg 2014, ISBN 978-3-939876-16-8
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