Das Prinzip von „Die Geschichte der ehrenwerten Ochikubo“ kennt man aus dem Märchen Aschenputtel: Da wird die Stieftochter insbesondere von ihrer Stiefmutter arg gegängelt. Der Vater und die Stiefschwestern sehen gar keinen Grund, dem Treiben der Stiefmutter ein Ende zu setzen – die Stieftochter ist doch eine nur allzu gute Hilfskraft im Haushalt. Doch irgendwann taucht ein tadelloser Prinz auf, um die darbende, schöne Stieftochter aus den Klauen der bösartigen Familie zu befreien.
Jedoch geht „Die Geschichte der ehrenwerten Ochikubo“ an dieser Stelle noch etwas weiter. Denn Michiyori, der die Rolle des Retters in der Not inne hat, will der unguten Sippe seiner frischgebackenen Ehefrau einen gehörigen Denkzettel verpassen. Michiyori legt eine steile Karriere am kaiserlichen Hof hin und zahlt es der ganzen Familie heim, dass seine Gattin Onnagimi in einem Loch hausen und sklavische Näharbeiten verrichten musste. So dreht er der einen Stiefschwester einen Taugenichts von Ehemann an, sorgt für die Trennung der anderen Stiefschwester von ihrem Gatten, verdrängt die Damen aus ihrer auswärtigen Unterkunft und denkt sich noch allerlei andere Rachegelüste aus. Doch die Onnagimi bleibt ganz die treuergebene Tochter im Sinne der idealen Kindesliebe. Als ihr Vater immer älter wird, gibt sie sich ihm zu erkennen. Michiyori und die Onnagimi machen nun den Schaden doppelt gut, den die Familie erlitten hat.
Der Roman, der um das Jahr 980 entstand, ist jedoch alles andere als bierernst. Da sind zwar Michiyori und die Onnagimi, die beide ohne Fehl und Tadel sind. Doch tauchen allerlei Gestalten und Szenen auf, die humorvoll überzeichnet sind. Dies beginnt bereits damit, dass die Onnagimi als Ochikubo bezeichnet wird, als „die verehrte Frau Besenkammer“. Das Werk weckt im Leser nicht nur Mitgefühl, sondern fesselt ihn auch durch das Gefühl der Schadenfreude.
Eine Vielzahl von Fußnoten gibt einen Einblick in das Leben der Heian-Zeit: So erfährt man beispielsweise von dem Phänomen der uxorilokalen Ehe, bei der die Töchter im Hause der Eltern wohnen blieben und von den Ehemännern nur besucht wurden. Oder dass eine Ehe dann als besiegelt galt, wenn der Mann drei Nächte in Folge bei der Frau blieb und dann eine bestimmte Menge an Reisklößen aß.
Ein bisschen verwirrend sind jedoch die Personenbezeichnungen der Männer, die meist nicht mit ihrem Vornamen, sondern mit ihrer Funktion benannt werden. So wird anfangs von Michiyori als dem Shosho gesprochen. Auf seinem Weg auf der Karriereleiter wechselt er daher mit jeder Beförderung die Bezeichnung. Aber auch die Dienerin der Onnagimi wechselt ihren Namen mit jeder neuen Funktion im Haushalt.
Insgesamt hat mich „Die Geschichte der ehrenwerten Ochikubo“ mehr als positiv überrascht: Man fiebert mit dem Liebespaar Onnagimi und Michiyori mit, lacht über die humorvollen Szenen und erfährt dabei allerlei über die Sitten der Heian-Zeit.
Bibliographische Angaben:
„Die Geschichte der ehrenwerten Ochikubo“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Langemann, Christoph & Werner, Verena), Manesse, Zürich 1994, ISBN 3-7175-1860-7
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