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Samstag, 22. September 2018

"64" von Hideo Yokoyama

Wer einen klassischen Krimi lesen will, der wird von Hideo Yokoyamas "64" gegebenenfalls enttäuscht werden. Denn der Roman nimmt sehr, sehr langsam Fahrt auf. Wer sich durch das circa 750 Seiten starke Werk wühlt, dem wird schon einiges an Durchhaltevermögen aufgebürdet.

Einerseits geht es schon auch mal um einen Cold Case: Zum Ende der Showa-Zeit (1989  = 64 Showa-Zeit) kommt es zu einem dramatischen Entführungsfall, bei dem das 7-jährige Opfer nach der Lösegeldübergabe tot aufgefunden wird. Trotz detaillierter Polizeiarbeit bleibt das Verbrechen ungelöst. Kurz vor der Verjährung soll der Fall Pubilicity-stark nochmal in den Blickpunkt der Medien gerückt werden mit der Botschaft, dass man den Mörder und Entführer nicht davonkommen lassen will.

Andererseits nimmt die spannungsgeladene Situation des Polizei-Pressesprechers Mikami die meisten Seiten in Beschlag: Mikami ist eigentlich ein klassischer Ermittler, der seine Versetzung in die Verwaltung als große Strafe betrachtet. In seiner Funktion als Pressesprecher meiden ihn die alten Kollegen aus der Kriminaluntersuchung. Doch nur wenn Mikami seinen derzeitigen Job gut erfüllt, dann hat er die Chance, wieder auf einen Ermittlerposten zurückversetzt zu werden. Zudem hat er als Führungskraft auch die Verantwortung für seine Mitarbeiter. Mikami steckt in einer Zwickmühle.

Dazu gesellen sich auch noch private Probleme. Mikamis Tochter ist verschwunden. Das Teenager-Mädchen leidet unter ihrem Aussehen. Leider hat sie nicht die Schönheit der Mutter, sondern die Gesichtszüge des wenig ansehnlichen Vaters geerbt. Und mit Mikamis Art kommt sie auch nicht klar. Eines Tages kehrt sie einfach nicht in ihr Elternhaus zurück.

Hideo Yokoyama räumt der Darstellung von Mikamis Arbeit als Pressesprecher enorm viel Raum ein. Zudem erfährt der Leser viel über die Strukturen bei der Polizei. Das mag für Japan-Freaks sicherlich noch irgendwie interessant sein. Doch mit der Zeit werden die Scharmützel zwischen PR-Abteilung und Presse bzw. Verwaltung und Kriminaluntersuchung ein bisschen fade und man fragt sich, wohin das denn noch alles führen und was das zur Klärung des Cold Case beitragen soll.

Es sei verraten, dass der Roman immerhin ab dem letzten Drittel doch endlich spannend wird. Wer sich so weit durchgekämpft hat, wird immerhin doch noch belohnt, wenn auch am Schluss einige Fragen offen bleiben.

Bibliographische Angaben:
Yokoyama, Hideo: „64“ (Übersetzung aus dem Englischen: Roth, Sabine & Stingl, Nikolaus), Atrium, Zürich 2018, ISBN 978-3-85535-017-9

1 Kommentar:

  1. Ein super Krimi...aber eben...eigentlich eher nicht der Krimi sondern die Beschreibung der japanischen Gepflogenheiten. Da stimme ich der Kritik zu. Wobei das Ende des Buchs dann wirklich auch wieder krimimässig spannend wird. Mir hat das Buch sehr gefallen, die deutsche Übersetzung war manchmal etwas seltsam, finde ich.

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