Als Ich-Erzähler und als sein Alter-Ego Uragami berichtet Yasunari Kawabata von der Go-Partie, in der das alte Japan in Form des „unbesiegbaren“ Meijins auf das moderne Japan, verkörpert durch den jungen Otake (aka Minoru Kitani), trifft. Für den Meijin bedeutet dieses Match eine große Umstellung, da die jüngere Spielergeneration mit härteren Bandagen und gewissen Tricks kämpft. Die Vorrechte des Meijin als des älteren Spielers werden beschnitten; er wird einer „moderne[n] Gleichmacherei“ (S. 48) unterworfen und verliert die Privilegien des Älteren. Eine neue Ära des Go-Spiels hat begonnen:
„Man führte das Gefecht lediglich, um zu gewinnen, und es gab keinen Spielraum, um an die Würde und Anmut des Go als Kunst zu erinnern.“ (S. 46)
Otake weiß das moderne Regelwerk geschickt für sich zu nutzen und der Meijin kommt mehr und mehr in Bedrängnis. Doch auch an Otakes Nerven wird gezehrt: Der Meijin erkrankt wiederholt und die Spiel zieht sich schließlich monatelang hin. Das Ende der Partie nimmt Kawabata vorweg: Von den Strapazen des Matchs wird sich der Meijin nicht mehr erholen – er wird kurze Zeit später sterben. Und so stirbt die letzte Generation der Go-Spieler aus, die Go als „Zerstreuung der Unsterblichen“ mit Würde spielten. Doch Yasunari Kawabata beklagt nicht nur das Ende eines Zeitalters, sondern vermutet, dass das Go durch den Generationswechsel eine Belebung erfahren wird.
Da das Ende der Partie dem Leser bereits im ersten Kapitel vermittelt wird, gibt es kaum Spannung in „Meijin“. Zwar benötigt man nicht unbedingt Kenntnis über die Go-Regeln, doch sicherlich können Go-Spieler mehr mit den Beschreibungen der Partien anfangen. Für alle anderen ist die Darstellung der recht unterschiedlichen Charaktere, die jeweils für eine andere Generation stehen, weit interessanter.
Yasunari Kawabata selbst scheint dem Generationswechsel ambivalent gegenüber zu stehen. Uragami beklagt zwar den Verlust an Würde und Tradition, scheint aber einzusehen, dass die Zeit des Meijin unwiederbringlich dahin ist. Dem Westen dagegen attestiert er, dass er nicht für den verfeinerten Geist des japanischen Gos gemacht ist.
Bibliographische Angaben:
Kawabata, Yasunari: „Meijin“ (Übersetzung aus dem Englischen: Heisel, Felix), Brett und Stein Verlag, Frankfurt/Main 2015, ISBN 978-3-940563-22-4
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