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Sonntag, 5. Mai 2024

„Das Mondscheincafé“ von Mai Mochizuki

Irgendwie habe ich den Eindruck, die Neuveröffentlichungen waren vielfältiger, als das Japanese Literature Publishing Project noch aktiv war. Momentan kommen so viele Romane auf den Markt, die diesem Schema folgen: Person 1 kommt in ein Café/Restaurant bzw. eine Buchhandlung und bekommt dort auf mystische Weise Tipps für den künftigen Lebenswandel. Person 2, die (optional) irgendwie mit Person 1 bekannt ist, wird ebenfalls mit lohnenswerten Lebenstipps versorgt. Dann taucht Person 3 auf… und so weiter… und so fort. Der Erfolg scheint diesen Büchern (momentan noch) recht zu geben.

Mai Mochizukis Variante dieses derzeitigen Erfolgsrezepts: In Kioto erscheint zu Vollmondnächten das Mondscheincafé, das von Katzen betrieben wird. Serviert wird nicht nach Wunsch, auf den Tisch kommt eine Spezialität, die eigens für jeden Gast kredenzt wird. 

Zudem werden die Gäste in das westliche Horoskop eingeweiht. Aus ihrem persönlichen Horoskop können sie im Anschluss ablesen, auf welche Stolpersteine sie künftig achten müssen, um ihr Leben glücklicher zu gestalten. So geschieht es z.B. der einstmals erfolgreichen Drehbuchautorin, deren Werke plötzlich so gar nicht mehr gefragt sind. Oder auch der jungen Schauspielerin, deren Karriere nach einer Affäre mit einem verheirateten Mann ins Straucheln geraten ist.

Alles in allem harmlose, nette Unterhaltung, die sich schnell wegkonsumieren lässt. Manchmal hat man ja den Bedarf nach simplem Entertainment. Allerdings hätte man die Stimmung im Mondscheincafé sicher atmosphärischer gestalten können und den Katzen untereinander noch mehr Wortgefechte zustehen können. Die Details zu den Horoskopen waren auch nicht meins – aber da tickt natürlich jeder anders.

Bibliographische Angaben:
Mochizuki, Mai: „Das Mondscheincafé“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Mangold, Sabine & Luginbühl, Yukiko), DTV, München 2024, ISBN 978-3-423-35227-7

Samstag, 4. Mai 2024

Mai Mochizuki

Von der Autorin Mai Mochizuki ist leider noch nicht einmal das Geburtsjahr in Erfahrung zu bringen. Sie wurde wohl auf Hokkaido geboren und lebt in Kioto. Laut Wikipedia Japan debütierte sie 2013 als Schriftstellerin und gewann mit ihrem ersten Werk den Everystar E-book Grand Prix.

In Japan scheint sie vor allem für die Krimi-Reihe „Holmes of Kyoto“, die momentan 20 Folgen zählt, bekannt zu sein. Die Reihe wurde als Manga und Anime adaptiert.

Interessante Links:


Ins Deutsche übersetzte Romane:

  • Das Mondscheincafé

Mittwoch, 1. Mai 2024

„Die Flucht“ von Fuminori Nakamura

„‘Ich hätte das alles gar nicht wissen wollen.‘“ (S. 66)

Diesen Satz bekommt der Protagonist Kenji Yamamine in Fuminori Nakamuras „Die Flucht“ zu hören. Kenji ist der Autor des fiktiven Buches „Menschen, die am Krieg verdienen“, in dem er finanzielle Verstrickungen von Militär und Wirtschaft offenlegt und freidenkerische Ideen illustriert. Das macht ihn in einem angespannten politischen Klima zum Feindbild der Rechten. Die Reaktionen seiner Leser lassen ihn aber auch an der gesellschaftlichen Entwicklung allgemein verzweifeln. Sind die Menschen wirklich so einfach gestrickt, dass sie nur noch entertained werden wollen?

Kenji ist aber nicht nur wegen seiner Autorenschaft eine Zielscheibe. Er hat eine mysteriöse Trompete in seiner Obhut, die einer Legende zufolge während des zweiten Weltkriegs die magische Fähigkeit besaß, Soldaten zu Heldentaten anzustacheln. Der Soldat Suzuki soll sie meisterhaft gespielt haben und so seinen Kameraden zu einem Sieg über die haushoch überlegenen amerikanischen GIs verholfen haben. Mehrere Gruppen verfolgen nun Kenji, um selbst in den Besitz der Trompete zu kommen – allen voran die rechte Q-Sekte.

Kenji hat noch weitere Probleme: Da seine vietnamesische Verlobte Anh bei einer Anti-Rechts-Demonstration auf tragische Weise ums Leben kam, ist sein Lebensmut auf dem Tiefpunkt. Doch er setzt sich das Ziel, Anhs Vision eines Romans, der Geschehnisse aus der längst vergangenen Geschichte und aus der Gegenwart zusammenführt, an Anhs Stelle zu schreiben. Und so setzt er alles daran, das Buch über die vietnamesische Geschichte, die Christenverfolgung in Japan, Suzukis Erlebnisse im zweiten Weltkrieg, der Atombombe auf Nagasaki und aktueller Geschehnisse aus Anhs und Kenjis Leben zu Papier zu bringen und zu veröffentlichen.

Und auch ich hätte davon so manches gar nicht wissen wollen. Fuminori Nakamura schreibt mit „Die Flucht“ ebenso wie sein Protagonist ein Buch, das man an manchen Stellen gar nicht weiterlesen will. Insbesondere wenn es zu den Foltermethoden an den japanischen Christen und den Auswirkungen der Atombombe kommt. So hält der selbstreferentielle Roman dem Leser den Spiegel vor – wollen wir beim Lesen nicht auch nur unterhalten werden? Wollen wir die unangenehmen Wahrheiten überhaupt hören? Erwarten wir automatisch die klassische Heldenreise und werten Bücher ab, die nicht diesem Muster folgen?

Gute 570 Seiten zählt das Werk. Es startet turbulent mit Kenjis Flucht vor dem Bösewicht B, der einem Tarantino-Film entsprungen sein könnte. Und mit dem Gebell eines Hundes. Leider hat die Google-Recherche nicht ergeben, ob Hundegebell im japanischen Kulturkreis etwas Unglückverheißendes ist. Wenn nicht, dann setzt nur der Autor das Bild immer dann ein, wenn etwas Böses am Entstehen ist. Das Unheil droht in Japan aktuell durch einen Rechtsruck und verstärkte Ausländerfeindlichkeit. Wie Kenji setzt auch Fuminori Nakamura mit seiner Veröffentlichung ein Zeichen gegen Rassismus. Das kurze Nachwort des Autors war für mich hilfreich, den einen oder andern Sachverhalt richtig einzuordnen (keine Details wegen Spoilergefahr 😉). Zwar ist der Roman an der einen oder anderen Stelle schwer verdaulich, aber trotzdem sensationell. Sowohl historisch als auch brandaktuell, spannend und gesellschaftskritisch zugleich.

Bibliographische Angaben:
Nakamura, Fuminori: „Die Flucht“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Steggewentz, Luise), Diogenes, Zürich 2024, ISBN 978-3-257-07285-3

Mittwoch, 17. April 2024

„Mord auf der Insel Gokumon“ von Seishi Yokomizo

Seit Kosuke Kindaichis letztem Fall ist einige Zeit vergangen. Das liegt allerdings nicht daran, dass sich kein Verbrechen ereignet hat, was der Detektiv hätte lösen können, sondern am zweiten Weltkrieg: Auch Kosuke wurde zum Militärdienst einberufen. Als Soldat lernt er Chimata Kito kennen, mit dem er sich anfreundet. Chimata hat eine seltsame Angst vor dem Sterben. Er überlebt den Krieg – aber das Schicksal meint es nicht gut mit ihm: Nach Kriegsende rafft es ihn ausgerechnet auf der Rückfahrt in die Heimat dahin. Kosuke nimmt er im Delirium ein Versprechen ab: Kosuke soll an seiner Stelle auf seine Heimatinsel Gokumon reisen. Seine drei jüngeren Schwestern würden in Lebensgefahr schweben, sollte er nicht lebend aus dem Krieg zurückkehren.

Und so begibt sich Kosuke auf die Insel Gokumon, die einst von Piraten und weiteren Verbrechern bevölkert war, um der Familie Kito mitzuteilen, dass Chimata nicht mehr unter den Lebenden weilt. Kosuke lernt dabei die wichtigsten Personen der Insel kennen: den Priester, den Bürgermeister und den Arzt. Doch was ist mit Chimatas Vater, der eigentlich der Erbe des größten Fischereiunternehmens ist. Und was ist mit der verfeindeten Zweigfamilie, die einen Schönling beherbergt, der Chimatas Schwestern schöne Augen macht?

Kosukes Aufenthalt auf Gokumon ist nicht lange erquicklich – denn bald geschieht ein Mord, den es aufzuklären gilt. Doch es bedarf einiges an Zeit, Kommunikation und Kombinationsgabe, um die äußerst verwirrenden Geschehnisse richtig einzuordnen und den komplexen Fall zu lösen.

„Mord auf der Insel Gokumon“ hat mir weit besser gefallen als Seishi Yokomizos erster Kosuke Kindaichi-Roman „Die rätselhaften Honjin-Morde“. Der allwissende Erzähler rückt stark in den Hintergrund und die Protagonisten treiben selbst die Handlung an. Damit wird der Leser gleich stärker in den Plot gesogen und die Figuren werden greifbarer.

Der Fall selbst ist so verzwickt, dass man zwar an der einen oder anderen Stelle eine Ahnung hat, wer vielleicht der Täter sein könnte. Aber die eigentliche Aufklärung muss man Kosuke – Japans bestem Privatdetektiv – selbst überlassen.

Für Juni 2024 ist mit „Das Dorf der acht Gräber“ schon der nächse Kosuke Kindaichi-Fall angekündigt. Im englischen sind schon zwei weitere erschienen und ein dritter für den Herbst geplant. Sieht so aus, als dürften wir uns auch noch auf weitere deutsche Übersetzungen freuen.

Bibliographische Angaben:
Yokomizo, Seishi (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula): „Mord auf der Insel Gokumon“, Blumenbar, Berlin 2023, ISBN 978-3-351-05119-8