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Donnerstag, 31. Dezember 2015

„Das Grab der wilden Chrysantheme“ von Sachio Ito

„Das Grab der wilden Chrysantheme“ ist erstmalig im Jahr 2010 in der Übersetzung durch Koji Yamada erschienen. Die Übersetzerin Nobue Shimada, die in Freiburg lebt, hat dieses Jahr eine Neuübersetzung der Novelle vorgelegt: Der Ich-Erzähler Masao und seine zwei Jahre ältere Cousine Tamiko wachsen fast wie Geschwister auf. Doch je älter sie werden, desto verdächtiger wirkt die innige Verbindung der Heranwachsenden auf die Erwachsenengesellschaft. Erst durch die Unterstellung, die beiden seien ineinander verliebt, werden Masao und Tamiko sich ihrer Gefühle füreinander bewusst. War der Umgang bisher unschuldig und geschwisterlich, so wird nun jede Regung auf die Goldwaage gelegt. Sachte versuchen sie sich gegenseitig, ihre erste Liebe zu gestehen.

Doch allein des Altersunterschieds wegen entschließt sich Masaos Mutter, die beiden Jugendlichen zu trennen, bevor die unschickliche Affäre Wellen schlägt. Das Ende der Novelle ist tragisch…

Die Übersetzung von Koji Yamada wirkt wie eine grobe Rohübersetzung – Nobue Shimadas Version fehlt leider noch der letzte Schliff. Der Leser stolpert immer wieder über Fehlerchen oder ungelenke Ausdrücke.

Etwas eloquenter wirkt die Übersetzung des zweiten Textes, der im selben Buch abgedruckt ist: Nobue Shimada wagt sich hier an die Übersetzung von Junichiro Tanizakis „Geschichte von Shunkin“ (bereits erschienen im Volk & Welt Verlag als „Biographie der Frühlingsharfe“ im Band „Die Traumbrücke“ bzw. in „Die fünfstöckige Pagode“ vom Diederichs Verlag). Tanizaki zeichnet hier wieder einmal das Bild einer Femme Fatale und des Mannes, der dieser völlig ergeben ist. Es handelt sich um die blinde Musikerin Shunkin, die exzentrisch und sadistisch mit Sasuke, ihrem Diener, umspringt. Sasuke ist bald mehr als nur der Untergebene seiner Herrin, jedoch wird dies nur unter der Hand bekannt.

Ein namenloser Ich-Erzähler berichtet vom Lebensweg der Shunkin im Osaka des 19. Jahrhunderts, die als junges Mädchen erblindet. Er zieht dazu eine Biographie zu Rate und bezieht sich auf Zeitzeugen. Shunkin gleicht einer klassisch-japanischen Schönheit mit extremem Hang zu Reinlichkeit und Pedanterie. Sasuke lernt Shunkin bereits als junges Mädchen kennen und weicht ihr fortan nicht mehr von der Seite. Shunkin zeichnet sich durch ihr Talent als Shamisen-Spielerin aus und auch Sasuke beginnt bald mit dem Musizieren. Obwohl Shunkin gar schwanger von Sasuke wird, lehnt die hochmütige Frau eine Hochzeit ab – sie sieht Sasuke nicht als ebenbürtig an. Dennoch leben die beiden bald in einer eheähnlichen Beziehung zusammen und geben Musikunterricht. Als Shunkin ein Unglück widerfährt, sieht sich Sasuke zu einem extremen Schritt gezwungen.

Aber auch in der Übersetzung von „Geschichte von Shunkin“ offenbaren sich einige Holprigkeiten. So stolpert man beim Lesen zum Beispiel über diese Unplausibilität:

„Sie schwitzte leicht und war gleichzeitig verfroren. Selbst im Sommer schwitzte sie kaum auf ihrer Haut […].“ (S. 112)

In der Version des Volk & Welt Verlags liest sich dieselbe Passage sinniger:

„Obwohl ihr leicht das Blut zu Kopfe stieg, war sie gegen Kälte sehr empfindlich. Selbst im Hochsommer kam sie nie in Schweiß […].“ (S. 162)

Nobue Shimada macht mit ihrer Übersetzung zwei Klassiker der japanischen Literatur (wieder) zugänglich. Jedoch ist es etwas schade, dass nicht ordentlich lektoriert wurde. Etwas irritierend wirkt zudem, dass die Übersetzerin den eigentlichen Autor Sachio Ito nicht auf dem Cover nennt. So wirkt es, als sei Nobue Shimada die Autorin von „Das Grab der wilden Chrysantheme“. Das Werk von Tanizaki findet weder auf dem Buchtitel noch im Klappentext Erwähnung. Auch findet sich derzeit im Internet kein Aufschluss über die zweite Novelle, die auf dem Cover angekündigt wird. Für Buchbesteller kommt Shunkin so wie Kai aus der Kiste.

Bibliographische Angaben:
Ito, Sachio: „Das Grab der wilden Chrysantheme“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Shimada, Nobue), Pro Business, Berlin 2015, ISBN 978-3-86460-284-9

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